Big Five Facetten: unsere Persönlichkeit unter der Lupe

Im Typentest Persönlichkeitstest und auch in anderen Persönlichkeitsmodellen geht es um allgemeine und breit gefächerte Persönlichkeitseigenschaften. Quasi die Zusammenfassungen vieler verschiedener, einzelner Bestandteile. Doch unsere Persönlichkeit ist in der Realität viel komplexer und vielschichtiger, als wir das mit einem simplen Test messen könnten. Daher geht es heute um die Details hinter diesen allgemeinen Eigenschaften – um die Facetten der Persönlichkeit.

Facettenreich wie das Gefieder eines Pfaus: unsere Persönlichkeit.
Bild von blackcatcara

Blick in die Persönlichkeit – Big Five Facetten im Detail


Im Persönlichkeitsmodell der Big Five gibt es für jeden der namensgebenden fünf Persönlichkeitsfaktoren zusätzlich 6 Unterkategorien, die so genannten Facetten. Mit diesen insgesamt 30 Facetten kann die Persönlichkeit sehr detailliert betrachtet werden. Sie sind eine Art Lupe, mit der wir auf unser Verhalten blicken. Allerdings dürfen wir nicht vergessen, dass selbst diese Detailfacetten wiederum nur Zusammenfassungen gesammelter Verhaltensweisen sind (für die man entsprechend dem Lupenvergleich dann ein Mikroskop bräuchte, um sie noch einmal genauer zu erfassen). Im Folgenden eine Auflistung dieser Facetten, so wie es sie bei den wissenschaftlichen Big Five Tests von NEO-PI-R und IPIP gibt. Wohlgemerkt handelt es sich dabei um keine endgültigen, festgelegten Bestandteile unserer Persönlichkeit, sondern um eine psychologische Theorie, wie diese Bestandteile sinnvoll zu ordnen und zu beschreiben sind. Die Facetten wurden nicht durch Studien herausgefunden, sondern künstlich konstruiert (daher sind es auch für jede Eigenschaft gleich viele). Wie bei allen Persönlichkeitseigenschaften ist entscheidend, wie stark die Ausprägung dieser Facetten bei einer Person ist, z.B. sehr hoch, niedrig oder durchschnittlich. Daraus lässt sich dann ein recht detailliertes Verhaltensprofil der Person erstellen.

Die Big Five im Überblick:

1. Extraversion = IntrovertiertExtrovertiert im Typentest
2. Offenheit für neue Erfahrungen
= Praktisch – Theoretisch im Typentest
3. Verträglichkeit
= Hart – Kooperativ im Typentest
4. Gewissenhaftigkeit
= Spontan – Geplant im Typentest
5. Neurotizismus
= Resistent – Empfindlich im Typentest

Die BIG FIVE Facetten

1. Extraversion

Herzlichkeit/Freundlichkeit – Zuneigung zeigen und leicht Freunde finden
Geselligkeit – gerne Zeit unter Menschen verbringen
Durchsetzungsfähigkeit – sich durchsetzen und die Führung übernehmen
Aktivität – schnell aktiv zu werden und ständig aktiv zu sein (Das Gegenteil: Lethargie)
Erlebnishunger – die Sucht nach Aufregung und Erlebnissen
Frohsinn – positive Emotionen  und Humor zeigen

2. Offenheit für neue Erfahrungen

Offenheit für…
Fantasie – Vorstellungskraft, den Alltag interessanter machen
Ästhetik/Kunst – von der Schönheit in Kunst & Natur emotional bewegt werden
Gefühle – feinfühlig die Emotionen von sich und anderen bemerken
Abwechslung – gerne etwas neues ausprobieren
Ideen/Intellekt – sich mit intellektuellen Themen beschäftigen
Werte – aufgeschlossen sein, bestehende Werte und Traditionen hinterfragen

3. Verträglichkeit

Vertrauen – davon ausgehen, das andere Menschen gute Absichten haben
Ehrlichkeit/Moral – andere nicht täuschen oder manipulieren
Altruismus/Uneigennützigkeit – anderen helfen, ohne etwas dafür zu erwarten

Entgegenkommen – nachgeben, statt eine Konfrontation zu suchen
Bescheidenheit – nicht angeberisch zu sein
Gutherzigkeit/Sympathie – mitfühlend und gutmütig zu sein

4. Gewissenhaftigkeit

Kompetenz – Dinge effektiv und korrekt machen
Ordnungsliebe – organisiert und ordentlich sein
Pflichtbewusstsein – verlässlich sein, ein hohes Pflichtgefühl haben
Leistungsorientierung – Ziele verfolgen und hart dafür arbeiten

Selbstdisziplin – hohe Willenskraft und Widerstand gegen Prokrastination
Besonnenheit – überlegen, bevor man handelt

5. Neurotizismus / Emotionale Instabilität

Ängstlichkeit – anfällig für Angstgefühle und Sorgen zu sein
Reizbarkeit – anfällig für Gefühle von Ärger und Frustration zu sein
Depression – negative Gefühle wie Trauer oder Entmutigung verspüren
geringes Selbstbewusstsein schüchtern und unsicher im Umgang mit anderen
zu sein
Impulsivität – kurzfristigem Verlangen nicht widerstehen können
Verletzlichkeit/niedrige Resistenz – schlecht mit Stress und Druck umgehen können

Weitere Formen von Neurotizismus zeigen sich auch in diversen Persönlichkeitsstörungen.

Weiterführende Informationen:

Weitere ausführliche englische Beschreibungen der Facetten finden sich z.B. auf der Seite der University of Rhode Island, so wie hier und hier.

Getestet werden diese Facetten im unter Copyright stehenden NEO-PI-R Persönlichkeitstest von Costa & McCrae und im freien IPIP Test von Lewis Goldberg (von dem es leider keine Internetversion mit Auswertung gibt), ein Vergleich der beiden siehe hier. Online verfügbare Tests mit Ergebnissen für alle einzelnen Facetten ist mir nur einer bekannt. Der nutzt das den Big Five ähnliche Hexaco-Modell als Grundlage: Hexaco Facets Test (auf englisch). In meinem Blogartikel zum Hexaco-Modell habe ich dieses (und dessen entsprechende Facetten) mit den Big Five verglichen.

Andere Persönlichkeitstests (nicht wissenschaftlich):
Berufstest, Reiss Profile, DISG, Enneagramm, Chakterstärken-Test VIA-IS, FIRNI

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7 Responses to Big Five Facetten: unsere Persönlichkeit unter der Lupe

  1. Martin sagt:

    Hallo Lars

    Nach wie vor finde ich die 5. Kategorie Neurotizismus als eigenständige Gruppe etwas schwierig. Einerseits schafft diese Gruppe einen Anschluss an die Persönlichkeitsstörungen und andererseits steht die so isoliert in der Gegend herum. Ich empfinde es mehr so, dass ein Temperament immer auch die Schattenseiten in sich birgt. „Durchsetzungsfähigkeit“ als Facette hat bestimmt einen Zusammenhang zur Facette „Reizbarkeit“. Eigentlich schade, dass Big Five der einzige wissenschaftliche „Typentest“ ist. Ich lese grad das Buch von Susan Cain „Still: Die Bedeutung von Introvertierten in einer lauten Welt“. Sie hat wunderbar recherchiert und kann belegen, wie Extraversion in Amerika an den Elitehochschulen „gezüchtet“ wird und als erstrebenswert gilt. Der Ansatz, von einer erwünschten Eigenschaft auszugehen und z.B. die Introversion allenfalls als Facette „Geringes Selbstbewusstsein“ zu deklarieren, finde ich bedenklich. Ich glaub, es wird in Amerika in dieser Hinsicht in den nächsten Jahrzehnten zu einem Umdenken kommen.

    Mir gefällt andererseits, dass sich Big Five weiter differenziert und Wissenschaftlichkeit tut dem Thema Typologie sowieso gut. Wer weiss, wo die Wissenschaft bezüglich der Temperamente in 10 oder 20 Jahren stehen wird. Vielleicht wird irgendwann die Typologie von Jung bewiesen oder ein komplett anderen Ansatz. Ich bin mir ziemlich sicher, dass da noch einiges gehen wird 🙂

  2. Lars Lars sagt:

    Hi Martin,

    Neurotizismus macht durchaus viel Sinn und gibt es als eigenständigen Faktor schon recht lange. Prominent geworden ist er durch Eysencks Temperamente, aber es gab ähnliche Definitionen sogar schon vor Jung, 1903 bei Wilhelm Wundts „Schnelligkeit des Wechsels der Gemütsbewegungen“.

    Für mein Buch bemühe ich mich zu zeigen, das alle Persönlichkeitseigenschaften positive und negative Seiten haben, was gar nicht so leicht ist, wenn man immer der wissenschaftlichen Perspektive der Big Five treu bleiben will. Aber eins kann ich mit Bestimmtheit sagen: alle Eigenschaften haben negative Seiten, und zwar unabhängig vom Neurotizismus.

    Cain zu lesen hatte ich bisher leider noch keine Gelgenheit, kenne nur ihren TED-Tak und diverse Interviews. Geringes Selbstbewusstsein ist eher dem Neurotizismus zuzuordnen = im Sinne von Probleme mit sich selbst haben, unsicher sein. Durchsetzungsfähigkeit bzw. Dominanz würde ich als Kombination von Extroversion (=Hauptbestandteil) + niedrige Verträglichkeit + hohe Gewissenhaftigkeit beschreiben.

    Wissenschaftliche Typologien gibt es in der Tat nicht viele, was einfach daran liegt, dass man sich in der Wissenschaft quasi auf die Big Five geeiniget hat und mit diesen auch so gut wie alle anderen Typologien erfassen kann, da sich fast alles in Zusammenhang mit den Big Five bringen lässt.
    Dennoch: es gibt da noch Eysenck, dessen drei Faktoren eine Vorform der Big Five sind, so wie das Hexaco, was eine Erweiterung der Big Five ist. Bei uns total unbekannt, aber auch sehr interessant ist das 16PF von Cattell (http://en.wikipedia.org/wiki/16PF_Questionnaire), das 1949 entstanden und ebenfalls eng mit den Big Five verbunden ist.

    Ich denke, die Zukunft wird zeigen, dass alles viel komplexer ist, als wir uns das vorstellen. Viele der Faktoren haben Überschneidungen und wirken zusammen mit anderen und viele Unter-Facetten der Faktoren sind zwar nicht unabhängig, können aber doch auch stärker von der generellen Tendenz einer Person abweichen, sei es durch angeborenes oder erlerntes Verhalten. Die Gründe für unser Verhalten und damit unsere Persönlichkeit lassen sich meist nicht an klaren biologischen oder neurologischen Ursachen festmachen, sondern sind ein sehr komplexes Zusammenspiel verschiedenster Dinge. Deshalb sind Studien zu eben diesen Ursachen in Gehirn, Nervensystem und biochemischen Reaktionen in unserem Körper oft auch widersprüchlich und finden wenn überhaupt, dann meist nur sehr geringe Übereinstimmungen.
    Die Typologie von Jung, da bin ich mir recht sicher, wird nie bewiesen werden. Zum einen, weil sie in Teilen schon widerlegt ist (z.B. die Big Five die Persönlichkeit zwar generell ähnlich, aber in vielen Details doch anders beschreiben). Zum anderen, weil wenn sie wirklich in allen Punkten stimmen würde, hätte man sie schon vor langer Zeit relativ leicht beweisen können. Schon vor mehr als 60 Jahren, als man mit der Faktorenanalyse angefangen hat. Aber sie hat einen wichtigen Beitrag geleistet, ist einer von vielen Steinen auf dem Weg zur Erkenntnis. Wenn man Jung, die griechischen Temperamente und Co ansieht, dann waren das die Grundlagen, anhand derer wir unser Wissen über die Persönlichkeit immer weiter aufgebaut haben. Dabei wurde altes hinterfragt und neues hinzugefügt, bis es immer komplexer und umfangreicher wurde. Das kann man sich vorstellen wie einen Baum, der sich vom Stamm her in immer mehr Äste aufspaltet, die ssich wiederum in immer noch mehr kleinere Äste aufspalten. Das ist unsere Persönlichkeit. Jung und Co. haben den Stamm beschrieben, heute beschreiben wir mit Hilfe der Wissenschaft die Äste. Die Big Five sind im Endeffekt die Simplifizierung vieler einzelner Äste/Bestandteile. Daher auch die Facetten. Wir brauchen solche Simplifizierungen, um die komplexe Realität beschreiben und verstehen zu können, denn je tiefer wir forschen, desto komplexer wird es, ähnlich wie in der Biologie, Physik und allen anderen Wissenschaften auch.

    So, das war mal eine ungeplant lange Antwort, ich hoffe sie ist zufriedenstellend 😉

    Schöne Grüße
    Lars

  3. Martin sagt:

    Vielen Dank Lars für dein spontane Antwort, die mich noch neugieriger auf dein Buch macht 😉

  4. CaRo8456 sagt:

    Ich habe zwei Fragen:

    1. Warum rangiert die (erlernbare) Verhaltenseigenschaft „Durchsetzungsfähigkeit“ bei Extraversion und nicht bei Verträglichkeit, wohingegen „Entgegenkommen“ bei Verträglichkeit geführt wird?

    2. Ich vermisse Handlungseigenschaften wie „Eigenständigkeit“ oder auch „Risikobereitschaft“.

  5. Lars Lars sagt:

    Hallo CaRo8456 !

    1. Weil sich durch Studien gezeigt hat, dass Durchsetzungsfähigkeit mehr mit Extraversion zu tun hat als mit Verträglichkeit.
    Introvertierte Menschen sind eher zurückhaltend und reden nicht so viel wie extrovertierte, daher haben sie keine so hohe Durchsetzungsfähigkeit.
    Bei Entgegenkommen geht es darum, Konfrontationen zu vermeiden. Durchsetzen kann man sich auch ohne Konfrontationen.

    2. Eigenständigkeit gibt es so gut wie nie in Persönlichkeitstests. Gute Frage warum eigentlich nicht.
    Risikobereitschaft hängt mit ALLEN! Eigenschaften zusammen. Spannendes Thema, zu dem ich sicher auch mal einen Artikel schreiben werde:
    Extrovertierte sind risikobereiter, weil sie leichter von Belohnungen gelockt werden, Offene Menschen sind risikobereiter, weil sie sich eher auf Unbekanntes einlassen, gering verträgliche Menschen sind risikobereiter, weil sie lieber auf ihren Interessen beharren und andere dadurch konfrontieren, gering gewissenhafte Menschen sind risikobereiter, weil sie oft unüberlegt handeln undlangfristige Auswirkungen unterschätzen, Menschen mit geringem Neurotizismus sind risikobereiter, weil ihnen negative Gefühle und auch physische Schmerzen nicht so viel ausmachen und sie weniger Angst oder Sorgen verspüren.

  6. Philipp Karl sagt:

    Hallo Lars,

    ich hätte eine Frage zum Punkt „Impulsivität“ unter Neurotizismus.
    Es überrascht mich nämlich, dieses Merkmal nicht unter Gewissenhaftigkeit zu finden.
    Impulsivität scheint doch das Gegenteil von Selbstdisziplin und Besonnenheit zu sein, welche man bei Gewissenhaftigkeit findet.

    Ich kann verstehen, dass man, wenn es einem sehr schlecht geht, verzweifelt nach jedem Strohhalm greift, der einem ein kurzes Glücksgefühl verspricht. Deshalb verstehe ich die Korrelation mit dem Neurotizismus. Aber sich kontrollieren zu können, was ja die Essenz von Gewissenhaftigkeit zu sein scheint, ist doch das exakte Gegenteil von Impulsivität?

    Liebe Grüße & vielen Dank für den tollen Artikel

    Philipp

  7. Lars Lars sagt:

    Hallo Philipp Karl,

    ja, da gibt es tatsächlich Überschneidungen und die Trennung ist nicht so eindeutig.

    Betrachten wir die betreffenden Facetten Selbstdisziplin und Besonnenheit auf der einen Seite und Impulsivität auf der anderen:

    Bei Selbstdisziplin und Besonnenheit geht es eher um mittel- und langfristige Entscheidungen: Kaufe ich das Auto mit viel PS oder das mit guter Preis/Leistung? Mache ich meine Hausaufgaben gleich nach der Schule oder spät am Abend? Sollte ich mit dem Rauchen aufhören oder nicht?

    Bei Impulsivität geht es eher um emotionale Bedürfnisse , die JETZT in DIESEM MOMENT eine Rolle für mich spielen: Ich habe jetzt Lust auf eine Zigarette, weil ich nervös bin! Also rauche ich eine. Habe ich mir vorher vorgenommen mit dem Rauchen aufzuhören (Selbstdisziplin), dann werde ich, nachdem ich die Zigarette geraucht habe eher überlegen (Besonnenheit), wie ich solche Situationen in Zukunft vermeiden kann. Ob ich dazu dann in der Lage bin, hängt vom Grad an Selbstdisziplin und Besonnenheit auf der einen UND der Impulsivität auf der anderen Seite ab. Was ist stärker?
    Ohne Selbstdisziplin und Besonnenheit wird mir das ziemlich egal sein, dass ich dem Drang nachgegeben habe. Ohne Impulsivität wird dieser Drang erst gar nicht entstehen, wenn ich mir vorher vorgenommen habe nicht zu Rauchen.

    Hoffe, das hat etwas Klarheit gebracht.

    Schöne Grüße
    Lars

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