Morde und Intrigen: warum uns die Charaktere von Game of Thrones so begeistern

Selten hat eine TV-Serie bzw. Buchreihe so die Massen bewegt, gefesselt, zum Lachen und Weinen gebracht. In diesem Artikel kläre ich, warum die Welt von Game of Thrones trotz oder gar wegen ihrer Härte so viele Menschen begeistert.

Die Faszination des Bösen

Hinweis: dieser Text enthält nur minimalste Spoiler. Wer die erste Staffel bzw. das erste Buch kennt, kann gefahrlos Weiterlesen.

Warum fasziniert Game of Thrones so sehr? Eine Geschichte, in der es vorrangig um Morde, Intrigen, Inzest und Verschwörungen geht. Eine Geschichte, in der nahezu jeder hinterrücks etwas zu planen scheint, in der sich im Takt einer jeden Folge die Allianzen und Bündnisse verschieben, alte Charaktere ihr Ende finden und Neue auf die Bühne treten, um ihr Glück zu versuchen. Game of Thrones blickt wie kaum eine andere Serie in die Abgründe des menschlichen Daseins. Ein großer Teil der Charaktere ist getrieben von Habgier, Zorn, Wollust oder Rache. Fast könnte man denken, der Autor George R.R. Martin hätte sich die sieben Todsünden als Vorlage für seine Buchreihe genommen, denn sie kommen alle in verschwenderischem Ausmaß vor, und kein Game of Thrones Charakter ist frei von Sünde.

Gut oder böse und schwarz oder weiß gibt es in dieser Welt nicht in ihrer Reinform. Alles ist dreckig, alles hat Licht- und alles hat Schattenseiten. Selbst der vermeintlich niederträchtigste Charakter zeigt Momente, die Menschlichkeit aufblitzen und an seiner Bosheit zweifeln lassen. Ebenso haben alle vermeintlich Guten auch dunkle Seiten, schwarze Flecken auf dem weißen Gewand. In einem See der schwarzen und grauen Schafe, gibt es nur sehr wenig weiße. Die einzigen Charaktere, denen man vorbehaltlos Gutmenschentum attestieren kann, sind Ned Stark, John Snow, Samwell Tarly und Maester Luwin. Das sind sage und schreibe vier Charaktere aus dutzenden von Haupt- und hunderten(!) von Nebenfiguren. Das ist ungefähr so, als würde innerhalb eines gesamten Jahres nur an vier Tagen dauerhaft die Sonne scheinen. Das nur, um ein Verhältnis zu haben, wie wenig grundgute Menschen es bei Game of Thrones gibt. Fairerweise muss man aber auch sagen, dass ähnlich wenige von Grund auf böse Charaktere vorkommen, die rein aus persönlicher Freude ihre Schandtaten vollbringen. Um Spoilern vorzubeugen, werde ich hier keine entsprechenden Namen nennen. Über vielen weiteren Charakteren schwebt zudem das große Fragezeichen, wessen Interessen bzw. welcher Sache sie eigentlich wirklich dienen, weswegen sich nicht sagen lässt, ob sie vielleicht doch nur schlechte Taten aus gutem Grund vollbringen, oder umgekehrt.

Der Großteil der Game of Thrones Charaktere bewegt sich in einer breiten Mitte, die weder gut noch böse ist. In einem Grau aus schweren Entscheidungen, gut gemeinten Intentionen, die zu falschen Ergebnissen führen, und positiven Ergebnissen, die durch zweifelhafte Taten entstanden sind. Ich denke, es sind genau diese Höhen und Tiefen der Charaktere, die Zweideutigkeiten und Gespaltenheit ihrer Absichten, die an Game of Thrones so faszinieren. Klischeecharaktere, die eindeutige Ziele verfolgen oder nur einen einzigen Charakterzug aufweisen, sucht man in Westeros vergeblich. Die klassische Rollenaufteilung in gut und böse, wie man sie aus so vielen anderen Geschichten kennt, ist erfreulich abwesend. Weil eitel Sonnenschein, Friede und Freundschaft keine spannenden Geschichten mit Konflikten produzieren, geht es in Game of Thrones sehr häufig um negative Charaktereigenschaften, wie Machtgier oder Rachegelüste. George R.R. Martin zeigt, wie diese Eigenschaften sich in einer schonungslosen Welt auf die Menschen auswirken, und ist dabei – abgesehen von den Fantasy Elementen – gar nicht so fernab von echten historischen Ereignissen. So basiert die berühmt-berüchtigte Red Wedding auf zwei historischen Ereignissen aus Schottland: dem Black Dinner und dem Glencoe Massaker (siehe dazu Interview mit George R.R. Martin).

Grausame und harte Charaktere

Es ist ganz normal, dass sich im Leben die Dinge oft ganz anders entwickeln, als man sie vorausgeplant hat. Das zwar jede Tat ihre Konsequenz hat, aber dennoch Gutes oft nicht belohnt, und Böses oft nicht bestraft wird. Game of Thrones zeigt, was passiert, wenn es dabei nicht um Alltagsprobleme geht, sondern um das nackte Überleben. Wenn Ränkeschmieden, Tratsch und Konkurrenzkampf nicht nur über die bessere Position im Büro oder den Ausgang einer Streiterei entscheiden. Sondern über Leben und Tod.

Zum Glück können wir das entspannt auf dem Sofa verfolgen, und müssen dazu nicht unseren Kopf, sondern höchstens die Fernbedienung hinhalten. Im echten Leben lauert niemand darauf, uns in einem ungeschützten Moment das Messer in den Rücken zu rammen. Höchstens in Form einer scharfen Bemerkung. In diesem Sinne ist Game of Thrones erheblich härter als die reale Welt. Die meisten Charaktere dort sind im wahrsten Sinne des Wortes hart: Betrachtet man die Persönlichkeitseigenschaften, die sie an den Tag legen, so befinden sich die meisten auf der unteren Hälfte der Skala der Big Five Persönlichkeitseigenschaft Verträglichkeit, die ich im Typentest Persönlichkeitstest als hartes interagieren bezeichne. Es bedeutet simpel gesagt, die eigenen Bedürfnisse vor die anderer zu stellen. Am anderen Ende der Skala – bei hoher Verträglichkeit – liegt kooperatives interagieren, was bedeutet, sich rücksichtsvoll gegenüber anderen zu verhalten. Doch in der Welt von Game of Thrones zeigen sich nur wenige Charaktere hilfsbereit ohne Hintergedanken, einfühlsam oder gar selbstlos und altruistisch. Viele Charaktere sind situationsabhängig zwar durchaus auch einmal freundlich, bieten ihre Hilfe an, oder machen etwas für andere, das ihnen selbst nicht direkt nützt. Doch in anderen Situationen achten sie dann doch lieber auf das eigene Wohl, die eigenen Interessen oder den eigenen Vorteil, anstatt für andere die Hand ins Feuer zu legen. Ein ganz menschliches Verhalten. Was das wirklich Boshafte daran ausmacht, dazu komme ich gleich.

Erstaunlicherweise gibt Game of Thrones in Punkto Persönlichkeitseigenschaften ein durchaus recht realistisches Bild der Charaktere wieder. So wie dort niemand in Reinform gut oder böse ist, so findet sich auch niemand, der sich zum Beispiel ausschließlich introvertiert oder ausschließlich extrovertiert verhält – genauso wie auch im echten Leben. Stattdessen nutzt jeder beides, nur eben unterschiedlich stark und situationsabhängig mal das eine und mal das andere (mehr dazu auch in meinem Buch). Manche Charaktere zeigen sogar klar skizzierte Persönlichkeitsstörungen, allen voran Psychopathie, hier zum Beispiel bei Joffrey und ganz extrem auch bei einem gewissen Bastard-Sohn und Hobbyfolterer (gemeint ist natürlich nicht Jon Snow, aus Spoilergründen hier aber kein Name), aber auch Narzissmus und Paranoia, zum Beispiel bei Cersei Lannister. Ein schönes Beispiel für extreme Schüchternheit findet sich bei Samwell Tarly, und dem Einfallsreichtum und der Kreativität eines Tyrion Lannister dürften nur wenige gewachsen sein. Wirklich faszinierend finden wir allerdings die dunklen Charaktereigenschaften…

Von der Gier, dem Lügen und Betrügen

Was wir in Game of Thrones im Übermaß sehen, und was die Serie bzw. die Bücher so spannend macht, ist eine ganz bestimmte Facette der Eigenschaft Verträglichkeit: die Ehrlichkeit-Bescheidenheit. Bei ihr geht es nicht so sehr darum, ob wir freundlich oder schroff mit anderen Menschen umgehen. Sondern ob wir bereit sind, zu lügen und zu betrügen. Ob wir dazu in der Lage sind, andere Menschen schamlos auszunutzen, um unsere Ziele zu erreichen. Ob uns Reichtum und Macht mehr bedeuten als ein positives Miteinander, und ob wir denken, besser zu sein und Besseres verdient zu haben als unsere Mitmenschen. Von dieser ganz speziellen Eigenschaft sehen wir seehr viel bei Game of Thrones. Ganz an vorderster Front von diversen Mitgliedern der Familie Lannister, von Petyr Baelish, alias Littlefinger, und noch vielen anderen mehr. Diese Menschen mit ihren ach so verachtenswerten Charaktereigenschaften sind das Salz in der Suppe. Sie geben dem Spiel der Throne die Würze. Indem sie ihre Ziele unbarmherzig und gnadenlos verfolgen, ohne Rücksicht auf Verluste. Sie lassen uns in menschliche Abgründe blicken, ohne dass wir das Leid und Drama welches sie verursachen am eigenen Leibe erleben müssen. Vielleicht wären wir sogar gerne selbst einmal so gerissen wie sie und freuen uns über ihren Erfolg. Vielleicht würden wir ihnen aber auch gerne den Hals umdrehen und hoffen, dass sie möglichst brutal das Zeitliche segnen. Beide Seiten kommen in Game of Thrones voll auf ihre Kosten. Das ist die größte Faszination hinter dem Game of Thrones: die realistische Darstellung der Charaktere und ihrer dunklen und doch so menschlichen Seiten.
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