Ein Test für Persönlichkeitsstörungen (Buchtipp)

„Ihr Persönlichkeits-Portrait“ von John Oldham ist ein Buch, das mich sehr zwiegespalten zurücklässt: für die Einen stellt es eine äußerst menschliche Erklärung ihrer Schwächen dar, vielleicht sogar eine Offenbarung. Für die Anderen ist es dagegen – zum Glück – komplett belanglos.

Nicht vom drögen Cover und austauschbaren Titel täuschen lassen: Das Buch hat einen bewegenden Inhalt.

Offenbarung oder Langeweile?

In der Psychologie wird zwischen der normalen Persönlichkeit, wie sie auch im Typentest Persönlichkeitstest gemessen wird, und ungesunden, schädlichen Ausprägungen der Persönlichkeit unterschieden, die man Persönlichkeitsstörungen nennt. Antisoziales, auch psychopathisches Verhalten genannt, ist zum Beispiel eine solche Störung. Auch extremer Narzissmus, zwanghaftes Verhalten, oder die besonders bei Frauen sehr verbreiteten Angststörungen gehören dazu. Der amerikanische Psychologe John Oldham hat bereits vor einer ganzen Weile einen Test entwickelt, der auf Basis dieser Störungen ein Persönlichkeitsprofil erstellt. Ich habe mir sein Buch angesehen.

„Vielleicht überschätze ich meine eigene Wichtigkeit, aber ehrlich gesagt denke ich, dass ich es wert bin.“ und „Ich werde als arrogant bezeichnet, aber das ist mir egal.“ sind zwei typische Fragen des Tests, die in diesem Fall auf Narzissmus abzielen. Insgesamt werden die Tendenzen zu 14 Störungen und damit verbundenen Persönlichkeitseigenschaften abgefragt, darunter auch Borderline-Verhalten und Paranoia. Die Aussagen des Tests können mit „passt vollkommen“, „passt teilweise“ und „passt überhaupt nicht“ beantwortet werden. Das Buch steht und fällt damit, ob man sich in einer oder mehrerer dieser Störungen wiedererkennt. Von insgesamt 107 Fragen konnte ich lediglich 3 mit passt vollkommen und 17 mit passt teilweise beantworten. Demnach war mein Ergebnis komplett uninteressant: zu keiner der 14 Eigenschaften habe ich eine nennenswerte Tendenz. Nichtssagend ist das Ergebnis trotzdem nicht: ich weiß nun, dass ich zu keiner Persönlichkeitsstörung neige.

So wie mir dürfte es vielen gehen. Wer sich nicht von Haus aus für diese Störungen interessiert oder die Neigung zu einer vermutet, für den ist das Buch mit großer Wahrscheinlichkeit eine Nullnummer. Was sich aber als positiv herausstellt. Denn lieber wird man von einem Buch enttäuscht, als unter einer Persönlichkeitsstörung zu leiden. Nun gibt es aber eine nicht unerhebliche Anzahl an Menschen, die mehr oder weniger starke Tendenzen zu solchen Störungen haben, und für die ist das Buch dafür um ein vielfaches interessanter. Denn jede dieser Neigungen zu einer Störung wird ausführlich beschrieben, und jeder(!) werden diverse positive Eigenschaften zugeschrieben.

Antisozial = Abenteuerlustig

Zum Beispiel wird antisoziales Verhalten mit der Persönlichkeitseigenschaft „Abenteuerlustig“ bezeichnet, als Charakteristiken davon werden unter anderem Unabhängigkeit, Nonkomformität und Überzeugungskraft beschrieben. Das kann man nun als übermäßig positive Darstellung sehen, die Betroffenen helfen soll, gute Seiten daran zu erkennen – oder schlicht als Augenwischerei. Trotz rosaroter Brille werden jedoch auch die negativen Seiten der Störungen nicht unter den Teppich gekehrt, sondern ausführlich behandelt. Zudem gibt es Hilfe und Tipps für Betroffene und die Menschen, die mit ihnen klarkommen müssen. Im Fall von antisozialen Personen wird zum Beispiel konkret davor gewarnt, sich nicht von ihnen täuschen zu lassen, und aufgezeigt wie man am besten mit ihnen umgeht.

Für wen das alles uninteressant ist, der kann sich glücklich schätzen, dass er selbst und die Menschen in seiner näheren Umgebung nicht unter einer solchen Störung leiden, und daher kein Anlass gegeben ist, sich näher damit zu befassen. Wer jedoch zu einer Persönlichkeitsstörung tendiert (vielleicht bisher unwissentlich), oder jemanden kennt, der dies tut, für den kann das Buch eine wahre Offenbarung sein. In leicht verständlicher Sprache wird hier beschrieben, was es mit den verschiedenen Störungen auf sich hat. Dabei wird an allen Störungen Positives aufgezeigt, was zwar teilweise etwas schöngeredet, aber niemals an den Haaren herbeigezogen ist. Vermisst habe ich nur die Beschreibung einer Angststörung. Entweder ließ sich nichts Positives an Ängsten finden, oder zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Buches hatten Angststörungen noch nicht die Bedeutung, die sie heute haben.

Mit knapp 500 Seiten ist John Oldhams Buch sehr umfangreich. Die Bezeichnung als für jeden geeignetes „Persönlichkeits-Porträt“ ist allerdings irreführend, denn als Standard-Persönlichkeitstest taugt es überhaupt nicht. Die üblichen Persönlichkeitseigenschaften, die solche Tests abfragen, z.B. introvertiert oder extrovertiert, spielen hier keine Rolle und werden nicht einmal erwähnt. Die ursprüngliche Version des Buches erschien 1990, weswegen sich auch keine Bezüge zum heute gebräuchlichen Persönlichkeitssystem der Big Five finden, obwohl es dort viele Überschneidungen mit den behandelten Persönlichkeitsstörungen gibt. Wer Pech bzw. Glück hat, findet sich in keiner der Eigenschaften wieder.

Wer sich für Persönlichkeitsstörungen interessiert, greift zu

Taugt das Buch als Indikator, ob man selbst oder Menschen die man kennt zu einer Persönlichkeitsstörung neigen? Absolut. Wer sich für Persönlichkeitsstörungen interessiert, unter einer leidet, oder Menschen in seiner Umgebung hat, die unter einer leiden, sollte sofort zugreifen. Kein anderes Buch schafft es, diese Störungen auf derart positive Weise zu beschreiben und etwas Gutes in ihnen allen zu erkennen.

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2 Responses to Ein Test für Persönlichkeitsstörungen (Buchtipp)

  1. Anina sagt:

    Im Buch steht gleich am Anfang wiederholt und argumentiert dass es NICHT für die Selbst-Diagnose von Persönlichkeitsstörungen ist.
    Diese sollten nue von Fachpersonal durchgeführt werden.

    Schade dass Du diese extrem wichtige Bedingung des ganzen Buches überlesen hast – dadurch wird der Kern deiner Rezeption hinfällig.

    Ich fand die Fragen des Tests überwiegend dumpf – sie operieren oft vor einem sehr normativem Hintergrund. Mit vielen Fragen werden Leute die noch nirgends fest länger gearbeitet haben nichts anfangen können weil sie auf Erfahrungen aus dem Berufsleben abzielen.

  2. Lars Lars sagt:

    Hallo Anina,

    natürlich kann eine echte Diagnose zu Persönlichkeitsstörungen nur vom Arzt oder Psychologen erstellt werden, deswegen ist dieser Hinweis im Buch. Nicht weil der Test keine Einschätzung dieser Störungen ermöglicht, sondern weil er keine ärztliche Diagnose ermöglicht oder ersetzen kann. Denn KEIN Test in dieser Richtung kann eine Diagnose ersetzen, sondern ist immer nur ein grober Anhaltspunkt.

    Das viele Fragen aufs Berufsleben abzielen ist natürlich nicht optimal. Leider ist dies der einzige frei erhältliche, ernstzunehmende Test für Persönlichkeitsstörungen, den es gibt. Von daher gibt es auch keine bessere Alternative…

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