Autismus, Asperger und Zusammenhänge mit der Persönlichkeit

Die Persönlichkeit von Autisten

Autismus (Link Wikipedia) ist eine angeborene Entwicklungsstörung, die sich hauptsächlich auf das Sozialverhalten auswirkt. Das Asperger Syndrom ist eine Variante davon mit meist schwächerer Ausprägung. Ich habe recherchiert welche Zusammenhänge es zwischen Autismus, Asperger und gängigen Persönlichkeitseigenschaften gibt.

In zwei amerikanischen Studien* wurde untersucht, wie die Neigung zu Autismus und Asperger mit normalen Persönlichkeitseigenschaften zusammenhängt, wie sie jeder von uns hat. Die Persönlichkeit wurde dabei anhand der Big Five eingeschätzt, der fünf bedeutendsten Persönlichkeitsmerkmale: Extraversion, Offenheit für neue Erfahrungen, Verträglichkeit, Gewissenhaftigkeit und Neurotizismus.

Das wichtigste Ergebnis: Menschen mit Autismus oder Asperger sind in der Regel stärker introvertiert als ihre Mitmenschen. Das heißt, sie sind zurückhaltender, ergreifen seltener die Initiative, sprechen seltener andere von sich aus an, sind weniger gesellig und weniger ausdrucksstark was das zeigen von Emotionen angeht. Oft leiden sie auch unter Schüchternheit, was bedeutet, Interaktionen mit anderen Menschen bereiten ihnen Probleme und Unwohlsein. Das ist alles sehr verständlich, schließlich hängt Autismus stark damit zusammen, dass Betroffene häufig Probleme mit dem Sprechen, mit der Körpersprache und anderen Komponenten sozialer Interaktion haben.

Ebenfalls gab es Übereinstimmungen zwischen Autismus, Asperger, und der Eigenschaft Neurotizismus. Neurotizismus beschreibt eine verstärkte emotionale Empfindlichkeit, was mit erhöhten Sorgen, Ängsten, Unsicherheit, Stressanfälligkeit und einer Neigung zu negativen Emotionen einhergeht.
Ein weiterer Zusammenhang zeigte sich mit niedriger Gewissenhaftigkeit, was bedeutet, sein Leben mehr spontan als geplant zu leben, locker, chaotisch und impulsiv zu sein.

Nur in eine Richtung

Bei diesen Zusammenhängen ist entscheidend, dass sie nur in eine Richtung wirken: von Autismus oder Asperger Betroffene zeigen meist – aber nicht immer – Tendenzen zu oben angesprochenen Eigenschaften. Aber die Ausprägung dieser Eigenschaften an sich sagt nichts darüber aus, ob eine Person zu Autismus oder Asperger neigt. Zum Beispiel sind viele Menschen schüchtern und noch viel mehr Menschen introvertiert. Beides sind normale Persönlichkeitseigenschaften, und nur ein winziger Bruchteil der Menschen mit diesen Eigenschaften hat Autismus. Daher ist auch eine starke Ausprägung dieser Eigenschaften noch kein Zeichen für Autismus.

Keine nennenswerten Überschneidungen gab es bei der Eigenschaft Verträglichkeit, welche kooperatives und rücksichtsvolles Verhalten beschreibt, und bei Offenheit für neue Erfahrungen, bei der es um eine Neigung zu Unkonventionellem, Intellektuellem und Kreativem geht. Das bedeutet, von Autismus oder Asperger Betroffene haben je nach ihrem individuellen Charakter, normale, hohe oder auch niedrige Ausprägungen in diesen Eigenschaften, aber es gibt keine allgemeine Tendenz zur einen oder anderen Seite.
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Mehr zu den erwähnten und ähnlichen Themen:

*Quellen:
Are autistic traits an independent personality dimension? A study of the Autism-Spectrum Quotient (AQ) and the NEO-PI-R Link
Personality correlates of the broader autism phenotype as assessed by the Autism Spectrum Quotient (AQ) Link

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4 Responses to Autismus, Asperger und Zusammenhänge mit der Persönlichkeit

  1. Nein. Menschen mit Autismus sind nicht introvertierter als neurotypische Menschen. Der Autismus führt dazu, dass man meint,, an Autisten Merkmale zu erkennen, die bei neurotypischen Menschen als Anzeichen für eine Introvertiert gelten würden. Diese Merkmale sind aber nicht per se Anzeichen für Introvertiertheit.
    Ich persönlich habe einen Guten Grund sauer zu sein, über eine solche hanebüchene Aussage, wie sie oben steht. Denn trotz deutlicher Auffäligkeiten in meiner Kindheit, die Ärzte jedoch nicht richtig zuzuordnen wussten, wurde erst nach meinen 40. Lebensjahr erkannt, dass diese Auffälligkeiten auf Autismus zurückzuführen sind. Das hängt auch mit dem falschen aber leider immer wieder verbreiteten Klischeebild über Autisten als sehr introvertierte Menschen zusammen.
    Eine sehr gute kurze Übersicht, was einen extrovertierten hochfunktionalen Autisten ausmacht, bietet Nele Muylaert von „The girl with the curly hair“ im Beitrag „The extrovert Aspie“ (sie macht das am Beispiel einer autistischen extrovertierten Frau, die Unterschiede zum Mann sind da jedoch eher marginal, im Vergleich zu introvertiert vs. extrovertiert):
    https://thegirlwiththecurlyhair.co.uk/2014/08/05/extrovert-aspie/

  2. Lars Lars sagt:

    Hallo Bernd Martin,

    Danke für deinen Beitrag. Natürlich gibt es auch autistische Menschen auf die das nicht zutrifft und die umgekehrt extrovertierter sind als der Durchschnitt. Solche Studien wie oben zitiert beschreiben schließlich keine einzelnen Menschen, sondern den Durchschnitt ganz vieler Menschen bzw. die allgemeine Tendenz.

    Schöne Grüße
    Lars

  3. Simon sagt:

    Ich persönlich finde auch, dass die Begriffe „introvertiert“ und „extrovertiert“ einen (Asperger-)Autisten schlecht beschreiben können und diese Begriffe wenn dann nur für neurotypische Menschen anwendbar sind; und selbst da kann man viele nicht in Schubladen stecken. Auf den ersten Blick würde man mich (Aspi) als introvertiert einordnen, weil ich bspw. nicht gerne feiern gehe und sich meine sozialen Kontakte auf eher weniger Menschen beziehen. Trotzdem sehne ich mich nach sozialen Kontakten, es ist halt nur sehr anstrengend für mich diese aufzubauen und zu halten und ich bekomme guten Kontakt auch nur mit netten, sozialen Menschen hin, die meine Stärken schätzen (nett, ehrlich) und nicht gleich den Kontakt abbrechen, wenn ich „komisch“ bin. Wenn ich dann in einer Gruppe Menschen bin, bei denen ich mich wohlfühle, dann beschreiben mich viele als „extrovertiert“ weil ich dann sehr gerne mit Leuten quatsche und mich sehr in die Gruppe eingliedere. Und alle sind sehr erstaunt, wie „introvertiert“ ich mich sonst verhalte. Bin ich nun introvertiert oder extrovertiert? Eigentlich nichts von beidem, denn beide Begriffe werde ich überhaupt nicht gerecht.

  4. Marie sagt:

    Ich würde es so schildern, dass Asperger Autisten dadurch, dass sie teilweise sehr früh anfangen mit dem Masking auch sehr früh erkennen welche Eigenschaften in der neurotypischen Gesellschaft besonders anerkannt sind. Introvertiertheit ist häufig auch bei neurotypischen Menschen ein Anzeichen dafür, dass sie von der „Norm“ abweichen oder sorgt dafür, dass sie Probleme haben Anschluss zu finden. Besonders bei introvertierten Mädchen wird im Zusammenhang mit Überempfindlichkeit und Ängsten oft von klein auf die „Andersartigkeit“ selbst von den eigenen Eltern immer noch als Schwäche angesehen die Aberzogen werden kann. Warum sollte ein Asperger Autist sich diesem Dilemma nicht annehmen um seinen Platz auf der Welt zu sichern?

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