Gibt es verschiedene Lerntypen?

Verschiedene Lerntypen oder wie man Radfahren durch zuhören lernen kann

Immer wieder hören wir von Lerntypen, davon, dass verschiedene Menschen Informationen am besten auf verschiedene, durch diese Lerntypen vorgegebene Weise aufnehmen können. Was ist dran an diesem Konzept?

Das mit Abstand bekannteste Modell von Lerntypen stammt aus den 70ern von dem Deutschen Frederic Vester, der behauptet hat, dass Menschen auf vier unterschiedliche Arten Lernen: Auditiv (zuhören), Visuell (sehen), Haptisch (anfassen) und Kognitiv (lesen). Bis heute wird diese Lerntypologie vielerorts genutzt. Ein Blick auf ihre Hintergründe verrät jedoch sehr schnell, dass es kein in der Psychologie akzeptiertes Modell ist, sondern vielmehr nur die Meinungen und Ideen von Vester, die nicht nur sehr simpel und oberflächlich sind, sondern auch auf keiner psychologischen oder neurologischen Grundlage beruhen.

Überdenkt man dieses Modell ein wenig, fallen sofort seine Fehler auf: Nur weil jemand z.B. im Klassenzimmer am besten lernt indem er zuhört, heißt das nicht, dass dies ein permanentes Persönlichkeitsmerkmal ist, welches für diese Person auf alle Arten des Lernens zutrifft. In anderen Situationen, einer anderen Lebensphase oder schon am nächsten Tag lernt diese Person vielleicht auf ganz andere Weise am Besten. Desweiteren lassen sich sehr viele Dinge nicht durch zusehen, zuhören oder lesen lernen. Einer Sprache kann man nicht zusehen, einem Bild nicht zuhören und durch Lesen lernt niemand das Radfahren oder Musik. Durch Anfassen bzw. haptische Erfahrungen lassen sich nur haptische Dinge lernen, nichts anderes. Allein aus diesen Gründen der sehr eingeschränkten Anwendbarkeit macht das Modell der vier Lerntypen nach Vester nur wenig Sinn.

Von der Wissenschaft wurde dieser erste Eindruck bestätigt. Denn wie unsere Erinnerungen und Erlerntes in unserem Gehirn gespeichert sind, hat nichts damit zu tun, auf welche Weise wir diese erlangt haben. Durch diverse Studien hat sich gezeigt, dass das Modell der vier Lernstile nicht nur falsch, sondern auch wirkungslos ist. Ob ein Lehrer an Lerntypen angepasste Unterrichtsstile nutzt, um seine Schüler zu unterrichten, brachte keinen sichtbaren Unterschied im Lernerfolg.*

Das heißt: Wie schnell oder nachhaltig wir etwas von jemandem lernen hängt hauptsächlich vom Lehrer ab, wie gut dieser Interesse und Motivation wecken kann, wie plastisch, interaktiv, sinnbestimmt, konstruktiv, etc. dieser den Unterricht gestaltet. Wie wir eine bestimmte Sache am besten lernen, hängt hauptsächlich davon ab, WAS wir lernen wollen. Hier helfen der gesunde Menschenverstand und eine individuelle Herangehensweise, die jeder je nach zu bewältigender Aufgabe für sich selbst finden muss. Dazu braucht es keine Lerntypen und dabei können sie (leider) auch nicht wirklich helfen.
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Verwandte Themen:

  • Für Lernerfolg verantwortlich ist zu einem großen Teil unsere Disziplin, die nicht vom Lerntyp, dafür aber stark vom Persönlichkeitstyp abhängt.
  • Vom lernen abhalten kann chronische Aufschieberei, die so genannte Prokrastination.
  • Lethargie bzw. Teilnahmslosigkeit kann ebenfalls vom lernen abhalten oder es stark erschweren.

Quellen:
*Kavale, Kenneth A., and Steven R. Forness. „Substance over style: Assessing the efficacy of modality testing and teaching.“ Exceptional Children 54.3 (1987): 228-239.
*Maike Looß; Lerntypen?; Ein pädagogisches Konstrukt auf dem Prüfstand

 

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