Vor knapp drei Jahren habe ich über das Hexaco-Persönlichkeitsmodell geschrieben und die Frage gestellt, ob es die populären Big Five, die quasi König der aktuellen Persönlichkeitsforschung sind, ablösen wird. Nun gibt es eine Antwort.
Der König bleibt vorerst auf dem Thron
Die Big Five der Persönlichkeit, die fünf bedeutendsten Persönlichkeitseigenschaften (Extraversion, Offenheit für neue Erfahrungen, Verträglichkeit, Gewissenhaftigkeit, Neurotizismus), sind in der modernen Persönlichkeitsforschung so dominant, wie noch nie ein Persönlichkeitsmodell zuvor. Sie gelten als das universell bestmögliche Modell zur Beschreibung unserer Persönlichkeit. 2004 ist jedoch das Hexaco Modell entwickelt worden, dass für sich beansprucht, eben doch eine Verbesserung der Big Five zu sein.
Im Grunde besteht das Hexaco aus den bekannten Big Five Eigenschaften, die im Detail der Big Five Facetten (Aufsplittungen der fünf großen Kategorien in kleinere Sub-Eigenschaften) leicht unterschiedlich definiert werden, plus dem zusätzlichen, 6.ten Faktor Ehrlichkeit-Bescheidenheit. Der beschreibt das menschliche Verhalten, für den eigenen Vorteil Regeln zu brechen, andere anzulügen und zu manipulieren, stark von materiellen Dingen und einem erhöhten sozialen Status bzw. Macht motiviert zu werden, und sich selbst als besser anzusehen als alle anderen. Der ehemalige italienische Ministerpräsident Silvio Berlusconi ist ein Paradebeispiel hierfür. Das Gegenteil davon, also eine hohe Ausprägung bei Ehrlichkeit-Bescheidenheit, ist ein Mensch, der sich selbst nicht so wichtig nimmt, keinen Wert auf unnötigen Luxus legt und stets aufrichtig ist. Ein Musterbeispiel hierfür ist der aktuelle Pabst Franziskus.
Alle Menschen können sich irgendwo auf dieser Skala der Ehrlichkeit-Bescheidenheit wieder finden, die eine klar positive und klar negative Seite hat. Ob es im Leben tatsächlich machbar und sinnvoll ist immer 100% ehrlich zu sein und bescheiden zu handeln? Wahrscheinlich nicht. Aber Menschen die zu 100% auf einer der beiden Seiten dieser Eigenschaft liegen, gibt es sowieso nicht, denn jeder hat in seiner Persönlichkeit eine Mischung daraus.
Ehrlichkeit-Bescheidenheit ist zweifellos eine aussagekräftige Persönlichkeitseigenschaft, die uns wichtige Informationen über unser eigenes Verhalten und das anderer gibt. Wirklich neu ist sie jedoch nicht. Bei den Big Five wird sie bereits mit zwei von insgesamt sechs Facetten der Haupteigenschaft Verträglichkeit gemessen, die allgemein unsere Rücksichtnahme auf andere Menschen beschreibt. Die Macher des Hexaco’s, Ashton und Lee, sind jedoch der Meinung, dass diese Ehrlichkeit-Bescheidenheit als von den anderen unabhängige, eigenständige Eigenschaft angesehen werden muss. Dazu haben sie einige wissenschaftliche Studien veröffentlicht, die jedoch für die Fachwelt nicht überzeugend genug waren, um ganz von den Big Five auf das Hexaco umzusteigen. In der heutigen Persönlichkeitsforschung sind die Big Five nach wie vor ungebrochen dominant. Zwar gab es die letzten 10 Jahre knapp 300(!) Studien, welche das – lizenfreie und kostenlose – Hexaco-Modell verwendet haben. Aber im Vergleich zu an die eintausend Big Five Studien jedes Jahr wird schnell klar, dass zwar mittlerweile viele das Hexaco Modell bevorzugen, aber die meisten Forscher nach wie vor die klassischen Big Five dem Hexaco vorziehen.
Denn es gab auch Kritik am Hexaco-Modell. Die Big Five beschreiben recht breit definierte Persönlichkeitseigenschaften, die unterschiedliche Facetten beinhalten, z.B. Ordnungsliebe, Pflichtbewusstsein, Leistungsstreben,
Selbstdisziplin und weitere bei Gewissenhaftigkeit. Löst man nun bei einer dieser Eigenschaften einzelne Facetten heraus, nämlich Ehrlichkeit und Bescheidenheit bei Verträglichkeit, dann stellt sich die Frage, ob man das nicht bei anderen Persönlichkeitseigenschaften auch machen sollte? Zum Beispiel Kreativität von der Offenheit für neue Erfahrungen lösen oder Perfektionismus von der Gewissenhaftigkeit? So würde man dann irgendwann ein Big Eight oder Big Ten Persönlichkeitsmodell erhalten. Ob es wirklich sinnvoll ist, die Big Five auf diese Weise weiter aufzuspalten, darf angezweifelt werden und ist wohl auch der Hauptgrund dafür, dass sich das Hexaco nicht durchgesetzt hat. Denn auf diese Weise würde die Beschreibung unserer Persönlichkeit zwar im Detail genauer – aber auch komplizierter.
Eine sinnvolle Alternative zu den Big Five
Das heißt jedoch nicht, dass das Hexaco nutzlos wäre. Ganz im Gegenteil. Es zeigt eine alternative Betrachtungsweise der Big Five auf. Ob es irgendwann einmal die Big Five als dominantes Persönlichkeitsmodell ersetzen wird, ist nach nun 10 Jahren Hexaco recht unwahrscheinlich. Aber es hat sich einen respektablen Platz neben dem König der Persönlichkeitsforschung gesichert und eine nicht unerhebliche Schar an Unterstützern gesammelt, was die mehreren hundert Studien eindrucksvoll untermauern. Es wird auf absehbare Zeit eine hilfreiche Ergänzung und Alternative zu den Big Five bleiben, die einige sinnvolle Anwendungsmöglichkeiten bietet. Zum Beispiel nutze ich in meinem Buch die Erkenntnisse des Hexaco, um der Eigenschaft Verträglichkeit den negativen Unterton zu nehmen, indem ich die Ehrlichkeit-Bescheidenheit getrennt davon beschreibe. Ich bin auf jeden Fall sehr gespannt, wie sich das Hexaco in Zukunft schlagen wird und ob vielleicht noch weitere Alternativen zu den Big Five entwickelt werden.
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*HEXACO steht für Honesty-Humility Emotionality eXtraversion Agreeableness Conscientiousness Openness to Experience.
Offizielle Hexaco-Webseite (englisch). Dort gibt es auch eine Übersicht aller Studien, die das Hexaco verwenden.
Andere Persönlichkeitsmodelle (teilweise nicht wissenschaftlich):
Reiss Profile, DISG, Enneagramm, Chakterstärken-Test VIA-IS