Die „Vorteile“ von Depressionen

Depressionen sind eine Volkskrankheit: innerhalb eines Jahres leiden neuesten Studien zu Folge ganze 8% aller Deutschen unter einer depressiven Episode. Doch warum existieren Depressionen überhaupt und bringen sie etwa auch etwas Positives mit sich?

Depression und endloses Nachdenken

Thomas hat keine Lust mehr etwas zu unternehmen und es gibt kaum noch etwas, was ihm Freude bereitet. Das Essen schmeckt fade, nachts liegt er stundenlang wach und Übertags ist er stets erschöpft, matt und müde. Dies alles sind Symptome einer Depression. Doch wie und warum entsteht sie?

Alle Grundlagen unserer Verhaltensweisen und unserer Persönlichkeit entspringen der Evolution. Charaktermerkmale und Reaktionen die uns heute sinnlos erscheinen, hatten einen klaren Zweck, als wir vor zigtausenden Jahren noch als kulturlose Jäger und Sammler unterwegs waren: Sie dienten dem Überleben und der Fortpflanzung. Bekanntestes Beispiel: die Angst vor Spinnen und Schlangen ist heute unnötig, förderte früher aber unser Überleben. Heute wäre eine Angst vor fahrenden Autos und Steckdosen angebrachter. Unsere Instinkte und unser Paarungsverhalten entsprechen demnach in vielerlei Hinsicht dem von Höhlenmenschen. Wenn unsere grundlegenden Verhaltensweisen der Evolution entspringen, was haben uns dann diese Depressionen in grauer Vorzeit gebracht?

Analytische Rumination

Eine aktuelle Studie aus Kanada hat versucht, diese Frage zu klären. Die Autoren führen Depressionen zurück auf „Analytische Rumination“. Zweck dieses intensiven Nachdenkens ist es, sich besser konzentrieren, besser analysieren und besser Probleme lösen zu können. Es ist eine Reaktion auf Stress und Krisen. Zumindest in der Anfangsphase soll sie helfen, komplexe Probleme dadurch zu lösen, dass wir alles andere ausblenden und uns ganz auf die Analyse der vorliegenden Widrigkeiten und mögliche Auswege konzentrieren können, inklusive dadurch entstehende Vor- und Nachteile. Finden wir jedoch keine Lösung für diese Schwierigkeiten, so bleiben wir in der Schleife der Rumination stecken und was dann entsteht ist eine Depression. Das hört sich zwar logisch an, ist aber vielleicht eine zu einfache Erklärung für das komplexe Phänomen der Depression.

Doch es gibt bereits einige Bestätigungen für die Ruminationstheorie. Anderen Studien zu Folge sind depressive Menschen tatsächlich besser darin, wenn es darum geht, Einsichten in Probleme zu bekommen, höhere Genauigkeit bei komplexen Aufgaben zu zeigen, wenn Details sorgfältig durchdacht und beurteilt werden müssen, und bei einer Kosten-Nutzen-Analyse. Das Dumme an der Sache ist allerdings, dass – wenn diese Theorie stimmt – depressive Menschen im Kreislauf dieser Rumination gefangen sind. Um diese analytische Rumination zu erkennen, haben die Autoren der Studie einen 20teiligen Fragebogen entwickelt, der unter anderem Aussagen enthält, wie:

  • Ich habe versucht, meine Schwierigkeiten zu durchdenken.
  • Ich habe versucht ein Ziel zu finden, das bedeutungsvoll für mich ist.
  • Ich habe versucht herauszufinden, was ich falsch gemacht habe.
  • Ich habe versucht herauszufinden, was mit meinem Leben schief läuft.
  • Ich habe über die Begebenheiten nachgedacht, die mein Leben schwierig gemacht haben.

Die Frage, an welchem Punkt gesundes Nachdenken zu ungesunder Rumination wird, kann der Test allerdings nicht beantworten. Ist eine Depression also ein notwendiges Übel, um mit komplexen Widrigkeiten umzugehen und Lösungen dafür zu finden? Oder die Folge einer langen, ergebnislosen Rumination? Ganz überzeugt mich das nicht. Wie so oft ist die Antwort vielleicht eine geteilte: manche Menschen mögen durchaus unter dieser Ruminations-Depression leiden, was jedoch nicht bedeutet, dass alle Arten von Depressionen ihre Ursachen in einer analytischen Rumination haben müssen. Ich bin mir jedoch ziemlich sicher, dass dieser viel versprechende Ansatz in naher Zukunft noch weiter erforscht wird, und vielleicht ergeben sich daraus, wie von den Autoren der Studie erhofft, neue Erkennungs- und Behandlungsmethoden für Depressionen.
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Quelle:
Measuring the Bright Side of Being Blue: A New Tool for Assessing Analytical Rumination in Depression, Link; Alle Fragen des AR-Tests: Link

Bild von Kacper Gunia

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