Die Eigenschaft, die jeder will: Resilienz

Was unterscheidet Steh-Auf-Menschen, die sich von nichts unterkriegen lassen, von solchen, die nach dem ersten Rückschlag gleich wieder aufgeben? Es ist eine Eigenschaft Namens Resilienz.

Gerüstet gegen alle Widrigkeiten. Bild von Hans Splinter.

Die Rüstung gegen Negatives

Schwierigkeiten einfach wegstecken, negative Emotionen nicht an sich heranlassen, kreative Lösungen finden, anpassungsfähig sein, ausdauernd seine Ziele verfolgen und sich stets Hilfe bei anderen holen können. Was wie die Beschreibung eines optimalen Jobkandidaten klingt, sind die Bestandteile der Persönlichkeitseigenschaft Resilienz. Resiliente Menschen scheinen optimal für die Widrigkeiten des Lebens gewappnet zu sein, denn sie tragen im wahrsten Sinne des Wortes eine Rüstung, die sie vor negativen Einflüssen schützt. Doch wie ist diese Rüstung aufgebaut und ist sie wirklich ohne Makel?

Resilienz ist kein eigenständiges Persönlichkeitsmerkmal, sondern besteht aus vielen sehr unterschiedlichen Eigenschaften, aufgeteilt in die Big Five:

  1. Erhöhter Extraversion, wodurch es leichter fällt, soziale Kontakte zu knüpfen und sich in schwierigen Zeiten Hilfe zu holen.
  2. Erhöhter Offenheit für neue Erfahrungen, wodurch u.a. die Kreativität und damit auch die Problemlösefähigkeiten gesteigert sind.
  3. Erhöhter Verträglichkeit, wodurch ein besseres Einfühlungsvermögen (Empathie) und dadurch mehr Teamplay gewährleistet ist.
  4. Erhöhter Gewissenhaftigkeit, was zu einem stabileren und gesunderen Lebenswandel führt, sowie dazu, zielstrebiger zu sein.
    Und schließlich das Wichtigste:
  5. Niedriger Neurotizismus, wodurch die Empfindlichkeit gegen negative Einflüsse und Emotionen geringer ist.

Der letzte Punkt, niedriger Neurotizismus, ist der Entscheidende für Resilienz. Die anderen vier sind eher Dreingaben, die das Bild vervollständigen. Denn wer auch unter Stress, Gefahr und Schwierigkeiten einen kühlen Kopf behält, weil diese negativen Einflüsse einfach nicht an ihn herankommen, der hat es erheblich leichter im Leben. Diese dicke Haut schützt ihn vor allerlei Dingen, die andere Menschen verzweifeln, aufgeben und scheitern lassen. Mit der Rüstung aus Resilienz lässt sich einiges mehr aushalten, als wenn durch hohen Neurotizismus die kleinsten Probleme bereits zum großen Zweifeln führen. Natürlich haben auch resiliente Menschen ihre Grenzen, an denen ihnen etwas zu viel wird, zu anstrengend, zu traurig, zu stressig. Aber diese Grenzen liegen wesentlich höher. Ein Vergleich zur Alkoholverträglichkeit liegt Nahe: wo ein empfindlicher Mensch bereits nach einem Glas nicht mehr klar vor Augen sieht, ist der Resiliente nach drei Gläsern immer noch ziemlich fit auf den Beinen.

Woher kommt’s?

Im Gegensatz zur Trinkfestigkeit hat Resilienz nur wenig mit Gewöhnung zu tun. Ja, einzelne Bestandteile von Resilienz lassen sich trainieren und dadurch die persönliche Rüstung verstärken, z.B. extrovertierter zu werden oder gewissenhafter. Der Hauptbestandteil von Resilienz ist jedoch in unseren Genen festgelegt, so wie der Rest unserer Persönlichkeit auch. Ob wir der stahlharte Kerl sind oder ein weinerliches Nervenbündel, hat daher wenig mit einer bewussten Entscheidung unsererseits zu tun, sondern mehr damit, was uns bei der Geburt von unseren Eltern mitgegeben wurde. Das kann sich natürlich im Lauf des Lebens noch in die eine oder andere Richtung verändern. Gerade traumatische Ereignisse und schwierige Lebensumstände beeinflussen Menschen mit niedriger Resilienz jedoch mehr als solche mit hoher. Ob wir im Leben anfällig für Probleme sind und wie wir auf diese reagieren, ist daher auch zu einem gewissen Teil in unseren Genen verankert. Von der Maus zum Tiger wird daher niemand so schnell werden.

Wenn es so toll ist, warum sind wir dann nicht alle resilient?

Die meisten Persönlichkeitstests sind so entworfen, dass die durch sie gemessenen Eigenschaften mehr oder weniger neutral sind. Will heißen, man kann jeder Art von Ergebnis etwas Positives abgewinnen. Zwar ist es in Modellen wie den Big Five oder auch dem Reiss Profile so, das bestimmte Eigenschaften mehr Vorzüge enthalten als andere – z.B. beinhaltet hohe Gewissenhaftigkeit weit mehr positive Beschreibungen als niedrige Gewissenhaftigkeit – aber generell kann man nicht sagen, das eine Eigenschaft an sich gut oder schlecht ist. Im Endeffekt bilden diese Persönlichkeitseigenschaften nur die Realität ab. Ob man die Eigenschaft introvertiert oder extrovertiert erstrebenswerter findet, liegt zu einem erheblichen Teil im Auge des Betrachters.

Im Laufe der menschlichen Entwicklungsgeschichte und Evolution haben vermutlich alle Eigenschaften einmal etwas Positives mit sich gebracht, auch wenn uns das heute nicht mehr so erscheint: ängstliche Menschen haben Gefahren früher bemerkt und sich nicht so sehr auf Risiken eingelassen, wodurch sie schlicht und ergreifend bessere Überlebenschancen hatten. Faule Menschen haben Energie und damit Ressourcen gespart. Dinge die uns heute als unnütz erscheinen, wie z.B. die Angst vor Schlangen, waren in der Vergangenheit oft Lebensretter.

Einer niedrigen Resilienz – Vulnerabilität genannt – lässt sich heutzutage jedoch beim besten Willen nichts Positives abgewinnen. Wer lässt sich schon gerne von negativen Ereignissen unterkriegen, ist leicht verletzbar, prokrastiniert häufig und findet nur schwer positive Lösungen? Niemand. Eine sehr hohe Resilienz ist allerdings dennoch mit einem negativen Beigeschmack behaftet.

Menschen mit einer sehr dicken Rüstung lässt sprichwörtlich alles kalt. Sie können unnahbar wirken, vielleicht sogar gefühllos. Verständnis für die emotionalen Sorgen und Nöte anderer zu zeigen, kann ihnen schwer fallen. Denn ihnen macht das schließlich alles nichts aus, worüber andere sich unentwegt den Kopf zerbrechen. Zu guter Letzt ist dann auch noch der Faktor der Risikobereitschaft. Da resiliente Menschen mögliche Gefahren nicht so deutlich als solche wahrnehmen, gehen sie auch eher Risiken ein. Gerade in Berufsgruppen, in denen schwer einschätzbare Bedrohungen auf der Tagesordnung stehen, z.B. Feuerwehrmänner, Polizisten oder Extremsportler, ist eine gewisse Resilienz von Nöten, um der Gefahr täglich ins Auge sehen zu können, ohne an dem ständigen Druck zu zerbrechen. Eine zu hohe Risikobereitschaft kann dann jedoch auch zu einer eigenen Gefahr werden, wenn die Betroffenen die realen Risiken unterschätzen. Eine Rüstung zu tragen, bringt deshalb zwar in vielen Bereichen des Lebens Vorteile. Zu dick und undurchdringlich sollte sie dann aber auch nicht sein.
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Weiterführend:
Mehr zu Resilienz und Tipps zum trainieren der einzelnen Bestandteile finden sich in der Typentest.de Rubrik Resilienz.

Es gibt auch spezielle Resilienztests. In einer Studie mit Jugendlichen (Link) hat sich jedoch gezeigt, dass die Anpassungsfähigkeit gegenüber negativen Einflüssen mit Hilfe der Big Five besser gemessen werden konnte, als mit einem klassischen Resilienztest. Daher können auch Persönlichkeitstests wie der Typentest gut die Resilienz einschätzen.

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One Response to Die Eigenschaft, die jeder will: Resilienz

  1. snappyshort sagt:

    Ich kann nur hoffen, dass sich der Big Five nicht außerhalb der wissenschaftlichen Umgebung durchsetzt.

    Ja, er ist sehr „realistisch“ und genau, aber die Implikationen sind deutlich fataler als bei dem Gute-Laune-Alles-ist-gut-MBTI oder den anderen positiv-neutralen Tests und Philosophien da draußen.

    Wie du schon schreibst, ist ein neurotischer Mensch am A****, wenn das offiziell getestet werden würde, z.B. in Unternehmen, bei Bewerbungen etc. Wissenschaftliche Exaktheit ist gut und wichtig, aber nur, wenn die Konsequenzen gering oder nicht vorhanden sind.

    Außerdem implizieren die Big Five mMn ein „Idealbild“ des Menschen, da ja fast jede Eigenschaft ein „gut“ und ein „weniger gut“ beinhaltet. Da spricht allerdings der Pädagoge aus mir, der in allererster Linie an Entwicklung, Lernen und das Positive glaubt. 😉 Mein subjektiver Blick. 🙂

    Ich finde es aber gut, dass du dich diesem Thema widmest, um Aufklärung zu betreiben, dass eben auch Resilienz seine Schattenseiten haben kann. Aber wie oben schon gesagt, bin ich auch froh, dass der Fokus aufs Negative beim Big Five bei der Masse der Menschen nicht ankommt…

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