Nerd-Faktor – Die Persönlichkeit von Nerds 2.0

Wie die Persönlichkeit des typischen Nerds zusammengesetzt ist.

Die Macht der Nerds

Ein Nerd, das war ursprünglich die Bezeichnung für einen sozial ungeschickten, oft sehr intelligent und/oder seltsam wirkenden Sonderling, Streber oder Fachidioten.

Dieses Bild hat sich jedoch mit der Zeit verändert. Ehemalige Klischee-Nerds wie Microsoft-Gründer Bill Gates, Apple-Gründer Steve Jobs, Facebook-Gründer Marc Zuckerberg und die Google-Gründer Sergey Brin und Larry Page sind heute nicht nur Multimilliardäre, sondern haben mit ihren Erfindungen auch unser alltägliches Leben und die Welt um uns herum für immer verändert.

Heute bezeichnet das Wort Nerd nicht mehr automatisch einen Sonderling, sondern einfach einen Menschen, der seine oft ungewöhnlichen Interessen mit Leidenschaft verfolgt. Meist mit einer Vorliebe für Technik, Computer, Wissenschaft, Spiele, Anime, Science Fiction, Fantasy oder Ähnliches. Das mag Vielen immer noch eigenartig vorkommen. Aber in Zeiten, in denen nahezu jeder einen Taschencomputer in Form eines Handys mit sich herumträgt und Fantasy- und Superhelden-Filme die größten Blockbuster der Kinogeschichte stellen, sind Nerds zur absoluten Normalität geworden. Serien wie The Big Bang Theory haben das Bild des Nerds schließlich in medialer Form in den Mainstream gehievt. Ein Fan von Game of Thrones, Star Wars oder Herr der Ringe zu sein – wofür man vor zwei Jahrzehnten noch belächelt wurde – ist heutzutage ganz normal.

Die Persönlichkeit von Nerds

Doch was macht die Motivation eines Nerds aus? Als Detektor für die Analyse der (Nerd-)Persönlichkeit nutzen wir die wissenschaftlichen Big Five, die fünf bedeutendsten Persönlichkeitseigenschaften: Extraversion, Offenheit für neue Erfahrungen, Verträglichkeit, Gewissenhaftigkeit und Neurotizismus. Die sind nicht nur ein bißchen nerdig, sondern gelten international auch seit mehr als zwei Jahrzehnten als das beste Instrument zum Beschreiben menschlichen Verhaltens – der Persönlichkeit. Eingeschätzt werden können sie z.B. mit dem kurzen Typentest.

Introvertierte Kellerkinder?

Zuerst sehen wir uns die Eigenschaft an, die am Häufigsten – aber zu Unrecht – mit dem Nerdtum in Verbindung gebracht wird: introvertiertes Verhalten. Introvertierte Menschen sind zurückhaltend, ruhig, verbringen ihre Zeit lieber alleine oder mit einigen wenigen Freunden und benötigen nicht ständig Gesellschaft oder Aufregung. Kellerkinder also. Doch wir wollen es nicht übertreiben. Introversion und Extraversion sind ganz normale Eigenschaften und die beiden äußersten Punkte einer Skala, quasi der Griff und die Spitze eines Lichtschwertes. Nur sehr wenige Menschen befinden sich komplett an einem Ende davon, denn die Meisten von uns sind ungefähr in der Mitte zwischen introvertiert und extrovertiert anzusiedeln. Der Nerd, der seine Zeit größtenteils vor dem Computer, beim lesen von Büchern oder nähen von Cosplay-Kostümen verbringt, statt beim Party machen und auf Familienfeiern, ist jedoch deutlich introvertiert. Das sind und waren viele Nerds, von J.R.R. Tolkien über H.R. Giger und J.K. Rowling bis hin zu George Lucas.

Aber genauso gibt es auch extrovertierte Nerds, die offen von ihren schrägen Hobbies erzählen, andere davon begeistern und mitreißen oder bei Rollenspielen ihrer Kontaktfreude freien Lauf lassen. Man nehme nur Regisseur Quentin Tarantino, Microsoft-Chef Steve Ballmer, Adam Savage von den Mythbusters oder die Schauspielerin Felicia Day. Introversion ist also nicht das Erkennungszeichen eines Nerds. Aber welche Persönlichkeitseigenschaft ist dann typisch für Nerds, ist die Nerd-Macht, der heilige Gral der Nerdigkeit, der einzig wahre Nerd-Faktor? Es ist die…

Offenheit für neue Erfahrungen. Oft auch als Faktor für Intellektualität, Kreativität, Hang zum Ungewöhnlichen oder Andersartigen bezeichnet. Menschen mit einer hohen Ausprägung in diesem Persönlichkeitsfaktor sind aufgeschlossen gegenüber neuen Ideen, Herangehensweisen, Fantasie, komplexen Theorien und Gedankenspielen, geistigen Anregungen, tiefer gehenden Empfindungen und philosophischen Gedanken. Kurz gesagt: für alles, was von der Normalität und dem Alltag abweicht.

Alle Menschen – auch Nicht-Nerds – tragen den Persönlichkeitsfaktor der Offenheit für neue Erfahrungen in sich. Jeder liegt irgendwo auf der Offenheits-Skala, quasi dem Thermometer der Nerdigkeit. Die Meisten von uns sind dabei etwa in der Mitte, aber Manche haben einen recht hohen Offenheits-Level, und genau diese Menschen sind mit überdurchschnittlicher Wahrscheinlichkeit Nerds. Viele davon nur ein bisschen, aber diejenigen mit einem sehr hohen Maß an kombinierter Offenheit und Nerdigkeit erkennt man leicht an ihren T-Shirt-Sprüchen, Facebook-Postings oder einfach anhand ihrer Gesprächsthemen. Den Highscore der überdurchschnittlichen Offenheit für neue Erfahrungen knacken sie locker. Ihre Welt ist nicht die des Alltäglichen, sondern die der Wissenschaft und Technik, des Lesens und Schreibens, des Denkens und Philosophierens, von World of Warcraft und Eve Online. Sie suchen nach dem Ungewöhnlichen, dem Andersartigen, sind Liebhaber von Science Fiction und Fantasy, Filmen und Büchern, Comics und Mangas. Vielleicht sehnen sie sich auch ab und zu nach der Normalität und dem Alltäglichen, aber ihr Herz schlägt für andere Dinge: für Luke Skywalker, Spiderman und die Ninja Turtles, Brett- und Computerspiele, Epic-Rüstungssets und Physik-Spielereien, für Computerplatinen und Blogbeiträge.

Besonders stark vertreten sieht man die Offenheit für neue Erfahrungen bei der Piratenpartei, der Nerdpartei schlechthin: alte politische Konventionen werden über Bord geworfen, man ist offen für neue Modelle, denkt viel nach und probiert viel aus. Es ist das Gegenteil vom Konservativen, unteren Ende der Offenheits-Skala. Denn weniger offene Menschen kommen auf dem Nerd-Level meist nicht über die erste Welt hinaus. Ihr Motto ist: „alles soll so bleiben, wie es ist“. Das klingt wie das Credo der Hobbits, die in ihrer schönen heilen Welt in Mittelerde leben. Doch wie wir wissen, mussten auch sie jemanden aussenden, der sich den Veränderungen in der Welt um sie herum stellte. Einen kleinen Nerd namens Frodo, der das Neue und Unbekannte nicht fürchtete.

Zu Unrecht stigmatisiert?

Hohe Nerdigkeit im Faktor Offenheit für neue Erfahrungen hat auch ihre Schattenseiten, quasi die dunkle Seite der Macht: Nerds können Probleme damit haben, ihre Gedanken und Fantasien für normalsterbliche Nicht-Nerds verständlich zu machen. Und manchmal sind sie gar so abgehoben, dass sie selbst für ihre Mit-Nerds nur klingonisch sprechen. Gefangen in ihren eigenen Vorstellungen können sie im Extremfall genauso weltfremd sein wie der konservativste Hinterwäldler. Und manchmal sind sie so erpicht darauf, alles neu und anders zu machen, dass sie den simplen, althergebrachten Weg gar nicht mehr sehen oder ihn nicht sehen wollen. Das sind jedoch zum Glück nur Randerscheinungen die auf die meisten Nerds nur recht bedingt oder oft auch gar nicht zutreffen.

Wie bereits erwähnt, wird das Nerd-sein häufig fälschlicherweise mit introvertiertem Verhalten in Verbindung gebracht. Auch andere Persönlichkeitseigenschaften werden Nerds oft angedichtet, obwohl sie keine primären Merkmale der Nerdigkeit sind. Ganz vorne ist da soziale Unfähigkeit, also fehlende Kompetenz im Umgang mit anderen Menschen. Dieses Vorurteil ist jedoch unbegründet. Denn nur weil jemand Pi auf 100 Stellen auswendig kennt oder alle Metallica Songs Note für Note nachspielt, sagt das noch nichts darüber aus, ob diese Person schlechter oder besser mit Menschen umgehen kann. Nerds können genauso kontaktfreudig oder empathisch sein wie jeder andere auch. Eigenbrötler oder sozial ungeschickte Menschen gibt es überall – bei Nerds genauso wie bei Nicht-Nerds.

Auch das Image des Fachidioten wird Nerds gerne angehängt. Natürlich gibt es Menschen, die alle alten Mario Spiele blind durchspielen können oder die Namen von hunderten virtuellen Charakteren kennen, aber nicht wissen wer Deutschland regiert oder wie man Spaghetti kocht. Solche Menschen finden sich allerdings in den Reihen von Nerds genauso wie bei Nicht-Nerds und dem Otto-Normal-Bürger. Dass Nerds sich nicht zu helfen wissen, sobald sie aus ihrer dunklen Kammer in die reale Welt hinausgelassen werden, ist ein falsches Klischee. Dies hängt mehr mit dem Phänomen der Vulnerabilität zusammen: der Empfindlichkeit gegenüber negativen Einflüssen und der Unfähigkeit, Rückschläge oder Probleme eigenständig zu überwinden. Das Gegenteil davon ist Resilienz, was soviel bedeutet, wie nach Rückschlägen immer wieder aufzustehen. Hier schneiden Nerds sogar etwas besser ab als der Durchschnitt, da sie durch ihre höhere Kreativität entsprechend leichter positive Lösungen finden können.

Danke, Nerds!

Nerds sind bei weitem nicht die weltfremden Kellerkinder, für die sie vielfach gehalten werden. Ganz im Gegenteil: sie entdecken und erschaffen gerne Neues, erfinden und kreieren. Ich behaupte: von Sokrates über Thomas Edison bis Albert Einstein waren alle bedeutenden Denker und Wissenschaftler der Geschichte mehr oder weniger Nerds. Denn sie alle hatten den entscheidenden Nerd-Faktor: die hohe Offenheit für neue Erfahrungen, und damit den Drang nach Neuem und Ungewöhnlichem, danach, hinter die Dinge zu blicken. Unser heutiger Stand der Technik und Gesellschaft wäre ohne offene, unkonventionelle Denker wie Bill Gates, Steve Jobs oder Nikola Tesla gar nicht denkbar. In der Literatur von Shakespeare bis zu den Gebrüdern Grimm oder im Film von Woody Allen bis James Cameron. Der Nerd-Faktor sorgt für Originelles, noch nie Dagewesenes und Ungewöhnliches. Eben für Nerdiges.

Und irgendwann wird dann auch das Allernerdigste zur Normalität: Menschen mit hoher Offenheit für neue Erfahrungen wurden vor gerade mal etwas mehr als einem Jahrzehnt noch als Inhaber eines dieser ominösen Internetzugänge oder als Star Wars Fans belächelt und in die dunkle Freak-Ecke gestellt. Heute ist all dies normal und nicht mehr Wegzudenken. Denn das Zeitalter der Nerds ist mitten unter uns. Nun wird stattdessen schief angeschaut, wer keine Email-Adresse hat und nicht weiß, wer Darth Vader ist.

Darum: Ein Hoch auf alle Nerds!

Denn wie sähe unsere Welt heute aus, so ganz ohne die Fortschritte in den Bereichen von Computern, Medizin und Mathematik, oder ohne die Inspiration durch unzählige Märchen und Geschichten von den vielen talentierten Nerds da draußen?
~

Ähnliche Themen:

Foto: Flickr User Bayat

Dieser Beitrag wurde unter Persönlichkeit abgelegt und mit , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

3 Responses to Nerd-Faktor – Die Persönlichkeit von Nerds 2.0

  1. nerd 3.0 sagt:

    ,,Das Nerds sich nicht zu helfen wissen, sobald sie aus ihrer dunklen Kammer in die reale Welt hinausgelassen werden, ist ein falsches Klischee. ´´

    ,,Das“ mit ,,ss“

  2. nerd 42.0 sagt:

    @nerd 4.0:
    Können wir uns mal virtuell treffen?
    Wir sind definitiv seelenverwandt! xD
    Ich finde es ja wirklich schade, dass man nicht überall Korrekturzeichen einfügen kann.
    @Lars:
    In den meisten Punkten gebe ich dir recht. Aber ich denke, dass „Offenheit für neue Erfahrungen“ nicht unbedingt die passendste Bezeichnung für das ist, was im MBTI „Intuition“ heißt. Ich, z.B., habe sowohl in MBTI-, als auch in Big Five-Tests einen hohen Wert für Intuition bekommen (Nerds vor!!!) und denke so theoretisch und abstrakt wie kaum ein Dritter. Ich würde mich eigentlich auch als kreativ bezeichnen. Ich interessiere mich auch für Neues, Unbekanntes. Trotzdem habe ich fast Angst vor Veränderungen, im echten Leben jedenfalls.
    Und ich bin da keine Ausnahme. Meine „offenen“ Freundinnen halten sogar noch sturer an ihren Meinungen fest. Sie schlagen sich auf die Seite einer Partei, weil ihre Eltern diese Partei wählen. Lieben Traditionen und wollen nicht, dass sich an der derzeitigen Situation etwas ändert. Sogar ich verabscheue diese „alt=gut-Denkweise“.
    Ich will jetzt nicht sagen, dass der Ausdruck überhaupt nicht passt. Nur, dass er den Kern des Gemeinten und somit auch den eigentlichen „Nerd-Faktor“ mMn. nicht hundertprozentig erfasst. Besser fände ich das Wort „Kreativität“. Besser, nicht richtig. Da ist der Offenheitsfaktor immerhin mit einberechnet. Und ich denke, dass auch Intelligenz-Nerds wie Bill Gates oder Sheldon Cooper auf ihre Art kreativ waren. Das kommt jetzt wieder darauf an, wie man Kreativität definiert. Hmm.
    Das gute, alte, schwammige Intuition war aber eigentlich auch nicht schlecht.

    Wenn das jetzt alles einen gewissen „klingonischen Akzent“ für Sie hat:
    Merken Sie sich einfach den ersten Satz meines Kommentars und vergessen Sie den Rest.

    LG,
    nerd 42.0

  3. Lars Lars sagt:

    Hallo nerd 42.0 und Danke für deinen Kommentar,

    Ich denke nicht, dass der Begriff Kreativität den Kern des Nerd-seins trifft. Denn egal ob Filme, Serien, Spiele, Bücher oder sontwas: Ein großer (wenn nicht sogar der Größte) Teil des Nerdtums hängt mit dem Konsum von Medien zusammen. Und der ist nunmal nicht kreativ. Man braucht ein gewisses Maß an Offenheit für fremdartige Dinge, um sich japanische Animes anzusehen, Fantasy-Bücher zu lesen oder seine Zeit in ein MMO zu investieren. Kreativ sein muss man dazu jedoch nicht.

    Schöne Grüße
    Lars

Schreibe einen Kommentar