Der Zusammenhang von Depressionen und Neurotizismus

Eine überraschende Erkenntnis: Depressionen und die Persönlichkeitseigenschaft des Neurotizismus, die Empfindlichkeit gegenüber negativen Einflüssen, hängen nicht so deutlich zusammen wie vermutet.

Von Genen und negativen Gefühlen

Die Logik würde sagen, dass Menschen, die empfindlicher auf negative Einflüsse reagieren – also eine hohe Ausprägung bei der Persönlichkeitseigenschaft des Neurotizismus haben – anfälliger gegenüber Depressionen sind. Aber sie sind es augenscheinlich nicht.

Die Beweislage ist allerdings etwas unklar. Denn in vielen Studien zeigt Neurotizismus einen deutlichen Zusammeng mit Depressionen. Zum Beispiel in einer Zwillingsstudie von 2004 (Link), die ich auch in meinem Buch zitiere, waren besonders anfällig bzw. fördernd gegenüber Depressionen: a) Frauen, sowie die Faktoren b) unglückliche Lebensumstände und c) hoher Neurotizismus. Nun sind Depressionen aber ein viel erforschtes Thema und es gibt noch jede Menge andere Studien dazu, die sich mit verschiedensten Facetten dieses Phänomnes befassen.

So brachte eine Studie an Zwillingen von 2002 (Link) das Ergebnis, dass Neurotizismus – wie auch alle anderen Big Five Persönlichkeitseigenschaften – zum größten Teil erblich bedingt, also angeboren ist. Er hängt zudem stark mit der generellen emotionalen Stimmung einer Person und der negativen Wahrnehmung von Lebensereignissen zusammen. Als großer Einfluss auf Neurotizismus entpuppte sich die momentane geistige Verfassung der Person. Das bedeutet, dass die Symptome einer Depression, z.B. Niedergeschlagenheit, sich auf die Ausprägung von Neurotizismus auswirken. Personen mit vorherigen Depressionserfahrungen zeigten daher erheblich höhere Werte bei Neurotizismus, als solche ohne diese Erfahrungen. Hoher oder niedriger Neurotizismus an sich hatte aber keine Auswirkung darauf, ob einer der Studienteilnehmer anfälliger für Depressionen war oder nicht. Es war umgekehrt: die Erfahrung mit Depressionen sorgte für einen höheren Neurotizismus. Ebenfalls getestet wurde in dieser Studie die Eigenschaft Extraversion (siehe introvertiertextrovertiert), welche keinerlei Zusammenhänge mit einer Neigung zur Depression aufwies.

Eine andere Studie (Link) kommt zu dem Schluss, dass Neurotizismus deutlich mit Grübelei und unnötigem Sorgenmachen zusammenhängt. Diese beiden Dinge hängen wiederum mit der Neigung zu Depressionen zusammen. Die Vermutung liegt daher nahe, dass Neurotizismus zwar nicht direkt mit Depressionen zusammenwirkt, aber indirekt. Nämlich indem er zu Grübelei und Co. führt, was wiederum Depressionen begünstigt. Ebenfalls hat sich in einer weiteren Studie (Link) gezeigt, dass Menschen mit hohem Neurotizismus empfindlicher gegenüber negativen und unglücklichen Lebensereignissen bzw. Notsituationen sind und sich stärker von diesen beeinflussen lassen.

Eine Zwillingsstudie (Link) kam zu dem erstaunlichen Schluss, dass der Hang zur Depression hauptsächlich mit den Genen und individuellen, persönlichen Erlebnissen zusammenhängt, und die familiäre und soziale Umgebung einer Person in diesem Punkt kaum eine Rolle spielt.

Die Anfälligkeit gegenüber Depressionen und Neurotizismus sind beide stark durch unsere Gene beeinflusst, so viel steht fest. Welche Gene das genau sind, weiß man zum aktuellen Zeitpunkt jedoch noch nicht, denn die menschliche DNA zu entschlüsseln ist ein sehr langwieriger und aufwendiger Prozess, der wahrscheinlich noch Jahrzehnte andauern wird. Daher lässt sich auch nicht mit Sicherheit sagen, in wie weit Depressionen und Neurotizismus gemeinsame genetische Ursachen haben, oder voneinander Unabhängige. Mit Sicherheit lässt sich aber sagen, dass beide häufig zusammen auftreten und einander begünstigen. Depressionen und Stimmungsschwankungen führen dazu, dass Neurotizismus und Empfindlichkeit zumindest zeitweise stärker ausgeprägt sind. Ob Neurotizismus in irgendeiner Weise direkt oder indirekt zu Depressionen führt, ist nocht nicht abschließend geklärt. Die genaueren Zusammenhänge wird hier erst die zukünftige Forschung aufzeigen.
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