Navi fürs Gehirn? Persönlichkeitseigenschaften der Big Five lassen sich Gehirnregionen zuordnen

Ein Wissenschaftlerteam der University of Minnesota* ist mit Hilfe der Big Five der Frage nachgegangen, ob Persönlichkeitseigenschaften mit bestimmten Hirnarealen verbunden sind, und ist zu überraschenden Ergebnissen gekommen.

Bild von Liz Henry

Gehirn & Persönlichkeit

Hier im Blog betrachte ich viele Themen skeptisch und zerstöre auch gerne Mythen, so z.B. jenen Mythos, dass die rechte oder linke Gehirnhälfte dominant sein kann, und sich das Verhalten einer Gehirnseite zuordnen lässt. Das ist kompletter Quatsch und hat keinerlei Grundlage. Allerdings lassen sich bestimmte Verhaltensweisen durchaus mit konkreten Hirnregionen verbinden, wenn auch nicht mit einer simplen rechts-links Aufteilung, sondern geographisch. Ähnlich der Einzeichnung eines Landes oder einer Region auf einer Karte.

In der Persönlichkeitsforschung werden seit knapp 30 Jahren die Big Five genutzt, um das menschliche Verhalten zu kategorisieren (im Typentest Persönlichkeitstest werden sie ebenfalls eingeschätzt). Diese fünf größten Persönlichkeitseigenschaften sind Extraversion, Verträglichkeit, Gewissenhaftigkeit, Neurotizismus und Offenheit für neue Erfahrungen. Wissenschaftler von der University of Minnesota haben nun versucht, die Big Five mit Hilfe von MRI-Hirnscans konkreten Hirnregionen zuzuordnen. Ihre These lautete, dass das Volumen, also die Größe bestimmter Hirnareale, mit der Ausprägung der Persönlichkeitseigenschaften zusammenhängt. Dabei zeigten sich in ihren Ergebnissen gleich mehrere Übereinstimmungen:

Extraversion hängt mit der Größe des medialen orbitofrontalen Cortex zusammen, einer Hirnregion, die Informationen über Belohnungen verarbeitet. Dies stimmt mit den psychologischen Erkenntnissen über die Persönlichkeitseigenschaften introvertiert und extrovertiert überein: introvertierte Menschen sind eher ruhig und zurückhaltend, da sie sich nicht so leicht von Belohnungen locken lassen. Extrovertierte Menschen sind dagegen kontaktfreudig und aktiv, da sie mehr nach Belohnungen suchen bzw. stärker auf diese reagieren.

Verträglichkeit – ob wir uns anderen Menschen gegenüber eher kooperativ oder mit Härte verhalten – stimmt mit der Größe von Hirnregionen überein, die Informationen über die Absichten und Befindlichkeiten anderer Menschen verarbeiten. Diese Areale hängen mit der Fähigkeit zur Empathie zusammen, dem Einfühlungsvermögen für unsere Mitmenschen. Unabhängig von diesem Ergebnis der Hirnscans weiß man bereits seit längerem, dass sich kooperative Personen mit hoher Verträglichkeit besser in andere Menschen hineindenken können und demnach eine stärker ausgeprägte Empathie besitzen, als solche mit niedriger Verträglichkeit. Dies wiederum ist wahrscheinlich die Grundlage dafür, dass sich Menschen mit hoher Verträglichkeit eher prosozial und altruistisch verhalten.

Gewissenhaftigkeit – ob wir mehr spontan und ziellos leben oder mehr geplant und strukturiert – hängt zusammen mit der Größe des lateralen präfrontalen Cortex, einer Region, die in das Ausführen von Plänen und die Kontrolle des eigenen Verhaltens involviert ist. Diese beiden Punkte sind elementare Bestandteile der Eigenschaft Gewissenhaftigkeit: zielorientiertes Verhalten ohne sich ablenken zu lassen, z.B. durch Prokrastination, und kontrolliertes Vorgehen sind Merkmale hoher Gewissenhaftigkeit, das Fehlen eben dieser Dinge ist typisch für niedrige Gewissenhaftigkeit.

Neurotizismus – die Empfindlichkeit gegenüber negativen Einflüssen – zeigt Übereinstimmungen mit einem geringeren Volumen von Gehirnarealen, die mit der Verarbeitung von Bedrohungen, Bestrafungen und dem Verspüren von negativen Emotionen zusammenhängen. Auch die Kontrolle von Angst und übermäßigem Grübeln wird einem Teil dieser Regionen, speziell dem Hippocampus, zugeschrieben. Ein geringeres Volumen des Hippocampus wird zudem mit Stress und Depression in Verbindung gebracht. Menschen mit hohem Neurotizismus sind generell empfindlicher gegenüber diesen negativen Einwirkungen und zeigen auch entsprechend stärkere emotionale Reaktionen. Personen mit niedrigem Neurotizismus zeigen sich resistent gegen solche Einflüsse und haben ein stabileres, weniger schwankendes Gemüt.

Als einzige Eigenschaft der Big Five zeigte Offenheit für neue Erfahrungen keine Übereinstimmungen mit konkreten Hirnregionen. Das ist wenig überraschend, denn bis heute ist man immer noch nicht ganz hinter des Geheimnis dieser Eigenschaft gekommen: ob ihr grundlegendes Merkmal der Intellekt einer Person ist; oder Kreativität und Originalität; oder eine größere „Tiefe“ im Denken und der Wahrnehmung; oder die Namensgebende Offenheit für vielfältige und ungewöhnliche Dinge; oder aber etwas bisher nicht klar definiertes. Hier wird die Zukunft hoffentlich Aufschluss bringen.

Zuordnung von Big Five Eigenschaften zu Hirnarealen (zum vergrößern klicken). Quelle

Kommt bald das Navi fürs Gehirn?

Natürlich sind diese Angaben mit einer Prise Salz zu genießen. Die Übereinstimmungen sind zwar klar messbar, aber nicht so deutlich, dass wir die Definition der Persönlichkeit eindeutig danach richten könnten, denn unser Bild von den Funktionen des Gehirns ist in vielen Bereichen noch ungenau. Dennoch zeigt die Studie, dass deutliche Zusammenhänge zwischen Instrumenten zur Persönlichkeitseinschätzung und den neuronalen Gegebenheiten im Gehirn bestehen. Das Persönlichkeitsmodell der Big Five ist also kein rein psychologisches oder gar fiktives Konstrukt, sondern konkret in der Biologie unseres Körpers verankert und im Gehirn messbar.

Eine Erkenntnis, die man vor einigen Jahrzehnten oder gar 100 Jahren noch nicht hatte. Wo Sigmund Freud und Carl Gustav Jung noch mittels Psychoanalyse spekulierten und intuierten, kann man heute mittels Hirnscans und der Messung chemischer Abläufe unserer Persönlichkeit konkret Abläufe im Körper bzw. Gehirn zuordnen. Der Antwort auf die Frage „Wie?“ unsere Persönlichkeit funktioniert, sind wir damit ein ganzes Stück näher gekommen. Zieht man die Erkenntnisse aus den Theorien zu Evolution und Persönlichkeit hinzu, finden sich auch viele spannende Antworten auf das „Warum?“. Darauf, warum wir Menschen bestimmte Persönlichkeitseigenschaften haben, und warum wir uns in unserer Persönlichkeit voneinander unterscheiden: weil dies die Antwort der Evolution auf Problemstellungen in der menschlichen Entwicklung ist: z.B. wie wir auf Gefahr reagieren (empfindlich oder resistent, siehe Neurotizismus), oder wie wir uns im sozialen Miteinander verhalten (kooperativ oder hart, siehe Verträglichkeit). Zusammen mit der Hirnforschung werden Evolutionstheorie und Psychologie in Zukunft ganz sicher noch viele weitere Antworten zu bisher ungeklärten Fragen nach den Geheimnissen des menschlichen Verhaltens bereithalten. Ein endgültiges Navi für unser Gehirn ist das allerdings noch nicht ganz, denn bisher konnten nicht viel mehr als grobe Grenzen für bestimmte Gebiete abgesteckt werden.
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In meinem Buch Menschenkenntnis – der große Typentest finden sich ausführliche Erklärungen zu allen Persönlichkeitseigenschaften, deren psychologischen Zusammenhängen und evolutionären Ursprüngen.

* Link zur Studie „Testing Predictions From Personality Neuroscience
Brain Structure and the Big Five“

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One Response to Navi fürs Gehirn? Persönlichkeitseigenschaften der Big Five lassen sich Gehirnregionen zuordnen

  1. Peter Reitz sagt:

    Ein spannendes Thema der Persönlichkeitspsychologie!

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