Buchrezension: „Persönlichkeit – Warum du bist, wie du bist“ von Daniel Nettle

Bücher zur Persönlichkeit gibt es viele, richtig gute allerdings nur wenige. Heute stelle ich eines davon vor:

In Persönlichkeit – Warum du bist, wie du bist zeigt Autor Daniel Nettle, dass unsere Persönlichkeit so einzigartig wie ein Fingerabdruck ist.

Ähnlich wie beim Typentest Persönlichkeitstest erklärt Nettle die Persönlichkeit anhand des wissenschaftlichen Systems der Big Five der Persönlichkeit. Diese fünf Grundtypen bzw. Grundzüge der Persönlichkeit sind Extraversion, Offenheit für neue Erfahrungen, Verträglichkeit, Gewissenhaftigkeit und Neurotizismus. Das Buch bietet unterhaltsame Erklärungen und Analysen der deutlichsten menschlichen Verhaltensweisen auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse. Für aktuell gerade mal 4,95(!) Euro erhält man ein unterhaltsam geschriebenes, fundiertes und relativ ausführliches Werk über die Persönlichkeit.

Fachkauderwelsch oder leicht verständlich?

Richtig interessant wird es, wenn Nettle – seines Zeichens Verhaltens- und Evolutionspsychologe – erklärt, warum es aus Sicht der Biologie und der Evolution unterschiedliche Persönlichkeitsmerkmale gibt. Also warum wir nicht alle einfach die exakt gleiche, bestmögliche Persönlichkeit haben. Denn Unterschiede in der Persönlichkeit führen dazu, dass jeder etwas anderes besser beherrscht und so jeder mit verschiedenen Situationen verschieden gut umgehen kann. Gerade dieses Kapitel ist höchst interessant, mag für den einen oder anderen aufgrund der Fachwörter und der weit ausgeholten Zusammenhänge aber auch eine Strapaze zum lesen sein.

In den ersten Kapiteln wird anschaulich erklärt, wie wissenschaftliche Studien zur Persönlichkeit aufgebaut sind und was die Ergebnisse solcher Studien bedeuten. Für den Laien werden zwar zu viele Fachwörter genutzt (z.B. Korrelationskoeffizient), aber die Erklärungen bleiben dennoch verständlich. Wer sich dafür interessiert, wie solche Studien, wie z.B. die bei Länder-Klischees oder Musik & Persönlichkeit zu Stande kommen, dem sei ein Blick hierauf empfohlen. Aufbauend auf den Erklärungen zu Studien erfährt man dann auch ohne große Ausschweifungen, wie der so genannte lexikalische Ansatz (= Persönlichkeitseigenschaften sind anhand von Eigenschaftswörtern definierbar), und später daraus die Theorie der Big Five der Persönlichkeit entstanden ist. Alles gut und verständlich erklärt – davon könnten sich viele andere Autoren eine Scheibe abschneiden.

Die fünf Kategorien der Big Five werden ebenfalls ausführlich und anschaulich erklärt, meist anhand von diversen Studien oder Fallbeispielen. So erfahren wir z.B., dass Extrovertierte aktiver nach Belohnungen und positiven Erlebnissen suchen als Introvertierte oder Schüchterne, die sich nicht trauen, nach dem Glück zu greifen. Dafür gehen sie auch schneller Risiken ein, da sie der Aussicht auf Belohnungen schwerer widerstehen können, so wie z.B. die auf große Gewinne hoffenden Börsenspekulanten bei der Finanzkrise.

Ähnlich ist es bei Personen mit sehr niedrigem Neurotizismus (= Empfindlichkeit, emotionale Anfälligkeit): da sie nur selten Angstgefühle verspüren, nehmen sie Gefahren oft nicht so deutlich wahr. Besonders ausgeprägt ist dies bei Extremsportlern, wie z.B. aktuell dem Rekord-Fallschirmspringer Felix Baumgartner. Solche Menschen grübeln weniger über mögliche Konsequenzen nach, während Personen mit hohem Neurotizismus deutlich stärker zum Zweifeln und hinterfragen des eigenen Verhaltens (z.B. mittels Introspektion) neigen. Auch hat hoher Neurotizismus Zusammenhänge mit diversen Persönlichkeitsstörungen.

Menschen mit hoher Gewissenhaftigkeit (Spontan-Geplant im Typentest) haben eine höhere Impulskontrolle, d.h. sie können sich leichter an selbst auferlegte Regeln und Vorhaben halten und dabei schädlichem oder ablenkendem Verhalten wie Prokrastination besser widerstehen. Dafür fehlt es ihnen an Flexibilität und sie neigen bei starker Ausprägung zu Pedanterie und übertriebenem Perfektionismus.

Verträglichkeit (Hart-Kooperativ im Typentest) ist bei Frauen in der Regel höher ausgeprägt als bei Männern. Eine niedrige Ausprägung führt meist zu größerem beruflichen Erfolg, da mehr auf die eigenen Bedürfnisse geachtet wird als auf die anderer Menschen. Dafür leiden die Beziehungen zu anderen Menschen unter einer niedrigen Ausprägung, während Menschen mit hoher Ausprägung bessere soziale Kontakte haben – da sie mehr Empathie für andere empfinden. Diese Empathie geht psychopathisch veranlagten Menschen ab – sie haben eine extrem geringe Verträglichkeit.

Rätsel gibt die Dimension der Offenheit für neue Erfahrungen (Praktisch-Theoretisch im Typentest) auf, bei der vor allem Künstler und Kreative sehr hohe Werte aufweisen (siehe Artikel Künstler sind glücklicher!). Ihre evolutionäre Bedeutung und die Zusammenhänge mit Vorgängen im Gehirn sind nicht so klar wie bei den anderen Dimensionen, nichtsdestotrotz sehr spannend.

Viel zu lernen

Wer eine simple Zusammenfassung oder schnell verständliche Erklärungen zur Persönlichkeit sucht, ist mit diesem Buch vermutlich nicht so gut bedient. Es bietet vielmehr ausführliche Analysen, wie unsere Persönlichkeit durch evolutionsbedingte Anforderungen, Gehirnfunktionen und chemische Reaktionen im Körper funktioniert. Obwohl die meisten Leser bei einigen der verwendeten Fachwörter wahrscheinlich nur Bahnhof verstehen, bleiben die Erklärungen dennoch auch für Einsteiger stets nachvollziehbar und bieten höchst interessante Einsichten in typisch menschliche Verhaltensweisen.

Der Persönlichkeitstest im hinteren Teil des Buches ist mit insgesamt nur 13 Aussagen leider sehr kurz ausgefallen und bietet nur eine ungefähre Richtungsangabe (als ausführlichen Persönlichkeitstest, der den Big Five ähnlich ist, empfehle ich den Typentest XL).

Manch einer mag sich vielleicht wundern, warum Persönlichkeitstheorien wie der MBTI, Reiss Profile, DISG oder das Enneagramm im Buch gar nicht oder nur indirekt erwähnt werden. Diese Systeme sind zwar bei der Masse und Laien beliebt – sozusagen Pop-Psychologie – spielen in der wissenschaftlichen Forschung aber keine Rolle, da sie dafür zu oberflächlich und ungenau sind. In der heutigen Wissenschaft werden fast ausschließlich die oben erwähnten Big Five der Persönlichkeit genutzt, bzw. Varianten davon, wie das Hexaco, FIRNI oder IPIP. Da sich das Buch von Nettle nur an wissenschaftlichen, durch Studien nachweisbaren Erkenntnissen orientiert, geht es darin ausschließlich um die Big Five.

Fazit: kleiner Preis, großer Inhalt

Für gerade einmal 5 Euro erhält man ein Buch mit ausführlichen Erklärungen zu unserer Persönlichkeit. Wissenschaftliche Forschung wird verständlich und beispielhaft erklärt. Wer sich auch nur annähernd für Persönlichkeit oder die Theorie der Big Five interessiert, dem empfehle ich dieses Buch wärmstens.


Die deutsche Übersetzung ist – von einigen kleinen Fehlern abgesehen – uneingeschränkt zu empfehlen. Wer trotzdem lieber das Original liest, findet bei Amazon auch die englische Originalversion des Buches.

Weitere Buchtipps: “So bin ich eben!” und “Making Sense Of People”

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One Response to Buchrezension: „Persönlichkeit – Warum du bist, wie du bist“ von Daniel Nettle

  1. Harry sagt:

    Super Buch, Danke für den Tipp. Schade, dass es nicht mehr so gute Fachbücher zu einem derart günstigen Preis gibt, die sind sonst meist recht teuer…

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