Keirsey’s Temperamente – die vier Gruppen

Im letzten Artikel ging es um David Keirsey’s Bedeutung und Beliebtheit, darum was er im Bereich der Typologie vollbracht hat.

Nun geht es um die größte Errungenschaft von David Keirsey, die vier Temperamente.

Keirsey hat nämlich die 16 Jungschen Typen in vier Gruppen geordnet:

  • Traditionalisten ( Guardians )
  • Aktionisten ( Artisans )
  • Idealisten ( Idealists )
  • Rationalisten ( Rationalists )

Die vier Temperamente im Detail:

Traditionalisten (Guardians)
Eigenschaften: Praktisch und GeplantStreben nach Sicherheit und Ordnung
Sie sind die Grundpfeiler der Gesellschaft, haben eine klare Vorstelung davon, wie etwas „sein soll“, richten sich gerne nach klaren Regeln, Gesetzen und Strukturen.

Aktionisten (Artisans)
Eigenschaften: Praktisch und Spontan Streben nach „Action“ und Ergebnissen
Sie richten sich ganz nach dem Hier und Jetzt, dem Erleben, Genießen und aktuellen Bedürfnissen, deren Befriedigung und direkten Ergebnissen.

Idealisten ( Idealists )
Eigenschaften: Theoretisch und Kooperativ – Streben nach Selbstverwirklichung und Gerechtigkeit.
Sie sind Romantiker mit großer Vorstellungskraft, glauben an das Gute im Menschen, eine positive Zukunft und setzen sich dafür ein.

Rationalisten (Rationalists)
Eigenschaften: Theoretisch und Hart – Streben nach Wissen und Fortschritt
Sie sind Wissenschaftler und Erfinder, sie analysieren, suchen nach neuen Ideen und effizienten, logischen Lösungen.

Durch das reduzieren der 16 Typen auf diese vier Gruppen, bei David Keirsey Temperamente genannt, wurden er und seine Bücher in den USA sehr bekannt und erfolgreich, siehe vorheriger Artikel. Denn vier Temperamente sind wesentlich leichter zu merken als 16 Typen, und die Temperamente sind sehr leicht verständlich und einprägsam. Sie bieten eine gute Übersicht, bei der man sich und andere schnell in einer oder mehreren der Gruppen wiederfindet.

Zwar gab es beim MBTI bereits vorher ebenfalls vier Gruppen, allerdings waren diese anders zusammengesetzt und es fehlte ihnen an der intuitiven Klarheit von Keirseys Temperamenten, weshalb sie sich nie durchsetzen konnten.

Hintergründe und Erweiterungen der Temperamente

Sehr viele andere Autoren haben David Keirseys Theorien aufgegriffen und das System der 16 Typen um Keirseys vier Temperamente erweitert, (z.B. Stefanie Stahl und Melanie Alt in „So bin ich eben!“).


Es gibt sogar mehrere Bücher, die sich ausschließlich mit den vier Temperamenten befassen (z.B. „People Patterns“ oder „Showing our true colors“).

Der deutsche Mathematik-Philosoph Gunter Dueck widmet sich in einigen seiner zahlreichen, nicht für jedermann verständlichen philosophischen Bücher u.a. auch Keirseys Temperamenten. Die Traditionalisten nennt er freimütig „Superbauern“,  die Aktionisten „anpackende Go West“, Rationalisten „Star Trek“ und Idealisten „Blue Helmet“ (=Blauhelme) und interpretiert ihre Rolle in unserer Gesellschaft (siehe dazu Duecks E-Man: Die neuen virtuellen Herrscher).

David Keirsey selbst zieht mehr oder weniger deutliche Zusammenhänge von seinen Temperamenten zur antiken Temperamentlehre von Hippokrates, Plato und anderen, siehe Geschichte der Persönlichkeitstests. In der Wissenschaft und professionellen Psychologie spielen Keirseys Temperamente jedoch keine Rolle. Sie basieren nicht auf überprüfbaren Fakten, sondern sind eine Art philosophische Theorie, nach der es vier Gruppen von Menschen gibt. Dabei zeigen die meisten Menschen Anteile von mehreren Gruppen, situationsbedingt oft auch von allen Vieren. Man sollte Keirseys Temperamente also nicht zu ernst und zu genau nehmen.

Keirseys Temperamente sind dennoch ein interessantes Gedankenexperiment, dass zu vielen Ergebnissen führen kann. Siehe dazu z.B. die Bücher von Gunter Dueck, mein Interview mit Svenja Hofert oder Keirseys Blog. Interessante Ideen und Gedankenspiele zu den Temperamenten finden sich auch im englischsprachigen Blog Temperament Matters, auf dem ich häufig unterwegs bin.

Ausführliche Beschreibungen der Temperamente inkl. Beispiele befinden sich auf Typentest.de:

Abschließend eine Übersicht, welche Typen zu welchen Temperamenten gehören:

Traditionalisten
(Guardians)
EPHG Direktor EPKG Gastgeber IPHG Inspektor IPKG Fürsorger
Aktionisten
(Artisans)
EPHS Macher EPKS Entertainer IPHS Handwerker IPKS Genießer
Idealisten
(Idealists)
ETKS Komiker ETKG Lehrer ITKS Träumer ITKG Psychologe
Rationalisten
(Rationals)
ETHS Erfinder ETHG Kommandeur ITHS Denker ITHG Wissen-schaftler


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7 Responses to Keirsey’s Temperamente – die vier Gruppen

  1. Simon Kappeler sagt:

    Natürlich ist ein Typenmodell eine Vereinfachung der Realität, wie übrigens jede Theorie; das heisst aber nicht, dass dieses Modell im Wesentlichen nicht seine Gültigkeit hat.
    Diese Temperaments- bzw. Persönlichkeitstheorien in der Tradition von Keirsey sind meiner Meinung nach naturwissenschaftlich bestätigt worden durch Studien, an der die Anthropologin Helen Fisher beteiligt war.
    Ich möchte hier auf einen weiterführenden Link verweisen:
    http://www.helenfisher.com/
    PS: danke an lars für seine wertvolle arbeit, diesen blog zu führen!

  2. Lars Lars sagt:

    Hallo Simon,

    erstmal vielen Dank für den Kommentar, freut mich das dir mein Blog gefällt.

    Danke für den Hinweis zu Helen Fisher. Ich bin dem nachgegangen und habe ein wenig dazu recherchiert. Dazu kann ich einiges sagen:

    – Ihre Webseite und auch die damit verbundene Dating-Webseite geben keinen klaren Hinweis darauf, auf welcher Grundlage ihr Temperament-System denn eigentlich funktioniert. Eine kostenfreie Übersicht oder einen offen zugänglichen Test gibt es nicht. Das ist grundsätzlich ein sehr schlechtes Zeichen und wird vor allem von Webseiten praktiziert die etwas verkaufen möchten (in diesem Fall Bücher und eine Datingwebseite), damit der Besucher sich nicht anderswo darüber informieren kann.

    – Sie hat eine Menge Studien gemacht. Die meisten davon drehen sich allgemein um das Thema Beziehungen. Die restlichen Links auf ihrer Seite führen nur zu Zeitschriftenartikeln und Co. Konkret um ihr Fisher Temperament Inventory (FTI) geht es nur in drei Studien von 2010, 2012 und 2013. Über die Qualität der Studien kann ich mir kein Urteil bilden, dazu habe ich viel zu wenig Ahnung von der genutzten Maßnahme der Hirnscans. Aber das macht nichts, schließlich lässt sich ja ansehen, wie ihre Studien von der Fachwelt aufgenommen werden.
    Antwort: gar nicht. Ihre beiden neuesten Studien zu ihrem Temperament-Modell haben keine Zitationen. Das heißt, sie wurden nicht in anderen Studien zitiert. Das wiederrum heißt, das in der Fachwelt (Neuropsychologie) niemand ihre Arbeit ernst nimmt, bzw. niemand auch nur ansatzweise für bedeutend hält. Zum Vergleich: selbst unbedeutende Studien zu Nischenthemen werden normalerweise wenigstens 10+ Male zitiert. Halbwegs bedeutendere Studien haben wenigstens ein paar dutzend Zitationen, wirklich bedeutende haben einige hundert oder gar einige tausend. Da es sich hier um ein sehr zentrales Thema handelt, nämlich menschliche Persönlichkeit, wäre ihre Arbeit eine kleine Sensation, wenn sie denn stimmt. Offensichtlich hält jedoch niemand in der Fachwelt ihre Arbeit für stimmig. Ihre erste Studie hat immerhin 13 Zitationen, jedoch sind dabei Zitationen von ihr selbst, sowie die berühmte Finkel-Studie, welche die Unwissenschaftlichkeit von Online-Dating Verfahren kritisiert (unter anderem auch die ihres Arbeitgebers), und die restlichen Zitationen beziehen sich nicht auf ihr Temperamentmodell, sondern auf die in der Studie ebenfalls untersuchten Zusammanhänge zwischen Fingerlänge und Testosteron.
    Zum Vergleich: eine vergleichbare Studie anderer Autoren zum Zusammenhang von Hirnscans und Persönlichkeit von 2011 (siehe hier) hat aktuell 233 Zitationen.
    Stell sich die Frage, warum ihr Modell nicht ernst genommen wird?

    – Ihr Temperamentmodell scheint den einzigen Existenzgrund darin zu haben, für die Datingseite genutzt zu werden, für die sie arbeitet. Damit ist es kein wissenschaftliches Modell, sondern ein rein kommerzielles. Offensichtlich dienen ihre Studien allein dazu, den Wert dieses Modelles für die Datingseite zu steigern.

    – Sie gibt nicht an, auf was ihr Modell ursprünglich basiert. Das ist ein ganz großes No-Go. Von den Fragen ausgehend, die sich bei einer der Studien herunterladen lassen und der Präsentation auf der Dating-Webseite, ist es zumindest teilweise an Keirsey angelehnt. Jedoch nur angelehnt, denn vieles geht in eine andere Richtung. Wahrscheinlich würde sie selbst sagen, das es nichts mit Keirsey zu tun hat, sondern rein auf ihrer Forschung basiert. Auch deshalb, weil Keirsey in der Persönlichkeitsforschung (die sich stark von der Populärpsychologie unterscheidet) überhaupt keine Rolle spielt und auch nie gespielt hat. Selbst wenn ihre Studien ernst zu nehmen wären – was sie offensichtlich nicht sind -, wären sie keine Bestätigung für das Keirsey-Modell, sondern nur für ihr eigenes, von dem nicht klar ist, was es eigentlich genau ist.

    – Unabhängige Bestätigungen (also Studien von Dritten) zu ihrem Modell gibt es keine. Jedes ernsthafte Persönlichkeitsmodell benötigt diese, um sicherzugehen, dass es nicht nur eine Fabrikation seines Autors ist.

    – Es gibt keine Vergleichsstudien zu anderen Persönlichkeitsmodellen bzw. Tests. Die Testfragen ihres Modells lassen jedoch recht deutlich darauf schließen, dass ein Faktor auf hohe Extraversion und hohe Offenheit abzielt (Curious/Energetic). Einer auf Hohe Gewissenhaftigkeit und niedrige Offenheit (Cautious/Social Norm Compliant). Einer ein Mischmasch aus hoher Offenheit und ein bißchen niedrige Verträglichkeit und irgend etwas anders (Analytical/Tough-minded). Und einer auf hohe Offenheit und hohe Verträglichkeit (Prosocial/Empathetic). Das ist kein sinnvolles Modell, allein deswegen, weil jedes Mal Offenheit mit gemessen wird, die anderen Eigenschaften aber nur in Kombination oder gar nicht.

    – Ihre Studien (wenn wir mal außen vor lassen das sie von der Fachwelt nicht ernst genommen werden) zielen nur darauf ab, ihr eigenes, kommerziell genutztes Modell zu bestätigen. Sie hat nicht Hirnscans gemacht und dann überprüft, mit welchen Eigenschaften diese allgemein korrelieren. Dazu hätte sie den Teilnehmern einen offenen Test vorlegen müssen, der alle möglichen Persönlichkeitseigenschaften abfragt, um danach festzustellen, mit welchen Zusammenhänge bestehen und mit welchen nicht. Sie hat aber nur ihren eigenen, sehr eng gefassten Test vorgelegt. Die Vermutung liegt Nahe, das hier die Ergebnisse so hingedreht wurden, dass es genau auf ihren Test passt.

    Fazit: Fishers Arbeit ist in ihrer aktuellen Form wissenschaftlich überhaupt nicht ernstzunehmen und dient anscheinend nur dem Zweck, Werbung/Pseudo-Legitimation für ihren Arbeitgeber, die Dating-Webseite chemistry.com zu schaffen. Die Kombination an Eigenschaften, die ihr Modell misst, ist unsinnig. Ein Zusammenhang zu Keirsey ist zwar offensichtlich vorhanden, von ihr wird aber überhaupt nicht darauf eingegangen.

    In meinen Augen ist das, was Helen Fisher macht, Bullshit-Wissenschaft. Zweifelhafte Studien wie die ihren sind mit der Grund, warum die Psychologie als Wissenschaft von vielen nicht ernst genommen wird.

    Schöne Grüße
    Lars

  3. Simon Kappeler sagt:

    Hi Lars
    Danke für deine Überlegungen. Ich teile deine Ansicht, dass ihre Webseite einen – zumindest auf den ersten Blick – im Unklaren über die Grundlage ihres Temperament-Systems lässt und keinen Test kostenlos zugänglich macht.
    Allerdings würde ich nicht soweit gehen, dies als schlechtes Zeichen im Sinne von Unwissenschaftlichkeit deuten – Kommerz hin oder her.
    Ich bin kein Fachmann bzw. Wissenschaftler; aber wenn ich mir ihre verlinkten Artikel anschaue, sehe ich, dass sie sich auf andere Studien abstützt, was ich so verstehe, dass sie nicht ohne wissenschaftliche Erkenntnisse der Fachwelt arbeitet, siehe insb. der Artikel „Four Primary Temperament Dimensions“. Im Abstract dieses Artikels heisst es vorsichtig:
    „Currently biological data are not sufficient to establish the exact biological bases of these four hypothesized dimensions of temperament. Nevertheless, the currently available, the reliability of the FRI-NQ measure, and the ten validity measures suggest that four temperaments are likely to be associated with four interrelated yet specific neurochemical systems.”
    Anschliessend verweist sie auf Studien, die den Zusammenhang zwischen spezifischen Verhaltensweisen und biochemischen Stoffen (Dopamin, Serotonin, Testosteron und Östrogen) untermauern sollen.
    Deine Aussage, dass ihre Studien von der Fachwelt nicht aufgenommen werden, verunsichert mich. Kann es sein, dass dies nicht ausschlaggebend ist, weil sie vielleicht eine Position vertritt, die nicht dem Mainstream innerhalb der Forschung entspricht – was ja nicht per se für die schlechte Qualität ihrer Studien sprechen muss? (Keirsey war mit seinen Ansichten auch nicht angesehen in der akademischen Welt – im Gegenteil: Er war ein Aussenseiter).
    Übrigens steht in der 2. Fussnote des 1. Kapitels der deutschen Übersetzung von „Why Him? Why Her?: How to Find and Keep Lasting Love“: „Wissenschafter erachten den Begriff Typ als nicht angemessen, da er eine klar abgrenzbare Kategorie suggeriert, während Begriffe wie Dimensionen oder Skala quantitative Veränderungen zulassen. Die Psychologie spricht also eher von Persönlichkeitsdimensionen oder Verhaltenssyndrom. Der Begriff Persönlichkeitstyp wird in diesem Buch aus Gründen der besseren Allgemeinverständlichkeit benutzt).“ Ausserdem führen die Fussnoten einzelne Punkte der Argumentation näher aus, die meiner Meinung nach eine sorgfältige und unvoreingenommene Prüfung nötig machen.
    Ich halte Fischers Typentheorie (Director, Negotiater, Explorer und Builder), die sie ausführlich in ihrem Buch behandelt, für grundsätzlich übereinstimmend mit den Temperamentslehren in der Tradition Galens oder Keirseys mit der Erweiterung, dass in ihrer Theorie Verhaltensmuster biochemischen Stoffen zugeschrieben werden (als Einschränkung dieser Vorstellung gilt für mich die Annahme eines freien Willens).
    Die Zahlen jedoch, die sie über die Verteilung der Typen in ihrem Buch auf S. 21 postuliert: „26 Prozent Entdecker (entspräche Aktionisten), 28,6% Gründer (Traditionalisten), 16,3% Wegbereiter (Rationalisten), 29,1% Diplomaten (Idealisten)“, halte ich für unwahrscheinlich.
    Abweichend von diesen Ergebnissen geht Keirsey in seinem letzten Werk „Personology“ auf S.54 von 50% Logistical Safekeepers aus (Traditionalisten), 40% Tactical Manipulators (Aktionisten), 5% Diplomatic Enablers (Idealisten) und 5% Strategic Builders (Rationalisten), was mir realistischer erscheint.
    Ich vermute, dass genau das zutrifft, was Svenja Hofert in ihrem Blog beschreibt: „Das frühe Gefühl, anders zu sein, ist typisch für Rationalisten und Idealisten. Im Internet sind sie allerdings umgeben von Ähnlichdenkern, denn Internetaktivität ist die Domäne der NTs und NFs“. Wenn sich aber im Internet mehr Wegbereiter (Rationalisten) und Diplomaten (Idealisten) tummeln – insbesondere auf Dating-Plattformen –, weil NTs (Rationalisten) und NFs (Idealisten) im Alltag mehr Mühe haben, Liebespartner zu finden, führt das zu einer Verfälschung der realen Typen- bzw. Temperamentsverteilungen in einer Studie, deren Teilnehmer aus Mitgliedern einer Partnerbörse bestehen.
    PS: Korrektur von meinem vorherigem Kommentar: …in der Tradition von Galenus (statt Keirsey)
    Lieber INFJ-Gruss
    Simon

  4. Lars Lars sagt:

    Hallo Simon,

    Nur weil jemand seine Arbeit auf existierende wissenschaftliche Grundlagen stellt, heißt das ja nicht, dass diese Arbeit auch wissenschaftlich ist. Nur weil es für einzelne Aspekte (kleine) Nachweise gibt, heißt das nicht, dass das ganze Konstrukt in seiner Summe funktioniert.

    Das ihre Position nicht dem Mainstream entspricht und deswegen niemand darauf eingeht: mit dem Denkansatz hast du grundsätzlich schon Recht. Aber im Bereich der Neuropsychologie gibt es so einen richtigen Mainstream eigentlich nicht, weil es ein sehr junges Feld ist und noch viel ausprobiert werden muss. Und gerade wenn jemand etwas Kontroverses veröffentlicht, das der bisherigen Forschung widerspricht (und das tut ihre Kombination an Eigenschaften definitiv) UND dafür ordentliche Nachweise bringt, erzeugt das normalerweise ein großes Echo und viel Aufmerksamkeit – und wenn es nur Aufmerksamkeit in Form von Kritik ist. Auf ihre Studien gibt es aber so gut wie gar keine Reaktionen und das heißt in so einem Fall, dass diese niemand ernst nimmt.

    Der gravierendste Kritikpunkt an ihrer Arbeit ist der, dass es keine unabhängigen Bestätigungen dafür gibt, also Studien anderer Autoren, die ihre Ergebnisse wiederholen. Da sie ihre Theorien ausschließlich selbst postuliert, lässt sich nicht beurteilen, ob es sich nur um schön hingedrehte Ergebnisse handelt. Der ganze Zusammenhang mit der Dating-Seite spricht allerdings ziemlich klar dafür, denn außerhalb von ihrer Seite wird ihr Test nirgends eingesetzt. Wenn er wirklich vernünftige Grundlagen hätte, wären längst andere Forscher darauf angesprungen und hätten versucht, mit diesem Modell Ergebnisse zu produzieren.

    Von Keirseys Typologie halte ich nicht viel, es ist eine verschlimmbesserte Variante des MBTI, von dem ich (mittlerweile) auch nicht mehr viel halte. Keirseys vier Gruppen widersprechen genauso wie der MBTI in sehr vielen Punkten der aktuellen Persönlichkeitsforschung (siehe Artikel), dass ich finde, man sollte diese auf keinen Fall zur realistischen Einschäzung der Persönlichkeit nutzen. Als philosophisches Gedankenspiel, um über theoretisch existierende Gruppen von Menschen zu diskutieren: kein Problem. Als Persönlichkeitsmodell, in das sich jeder Mensch einordnen kann und das real überprüfbare Aussagen über das Verhalten macht: definitiv nicht.
    Hier darf nicht vergessen werden: Keirsey hat nie richtig geforscht oder Studien veröffentlicht. Bei seinem Modell handelt es sich rein um Populärsychologie, die auf seinen Ideen und Beobachtungen beruht, nicht um Wissenschaft.

    Wenn diese Theorien von Fischer oder Keirsey wirklich einer Prüfung in der Realität standhalten würden und tatsächlich die menschliche Persönlichkeit beschreiben würden – ich wäre der Erste, der diese mit offenen Armen empfängt. Ich würde darüber schreiben und mich freuen, mehr über das menschliche Verhalten lernen zu können. Doch leider halten sie der Überprüfung in der Realität nicht stand. Sie beschreiben keine realen Typen/Gruppen von Menschen, sondern nur fixe Ideen, wie solche Gruppen aussehen könnten – es in Wirklichkeit aber nicht tun. Denn das haben Jahrzehnte der Persönlichkeitsforschung bereits gezeigt.

    Ich finde die Alternative in Form der Big Five auch nicht das gelbe vom Ei. Aber die Big Five beschreiben nun mal die Realität, wie unsere Persönlichkeit wirklich und mit realen Konsequenzen im Leben aufgebaut ist. Und mich interessiert diese Wirklichkeit und keine fixen Ideen, die zum großen Teil doch nur Luftschlösser sind.

    Schöne Grüße
    Lars

  5. Simon Kappeler sagt:

    Hi Lars
    Ich finde Keirseys geisteswissenschaftliche Studien schlüssig und überzeugend. Da brauche ich keine „Hardcore“-naturwissenschaftlichen Beweise. Es ist wie mit den Berichten von Nahtoderfahrungen: Mir reicht die persönliche Schilderung, wenn ich zum Schluss komme, dass diese glaubwürdig bzw. authentisch sind (insb. durch Vergleich mit anderen Berichten).
    Leider haben die Geisteswissenschaften heutzutage in der akademischen Welt einen schweren Stand oder besser: praktisch keine Bedeutung mehr (ausser vielleicht in der Soziologie oder den traditionell geisteswissenschaftlichen Disziplinen wie die Literaturwissenschaften). Insbesondere die Psychologie ist stark naturwissenschaftlich geprägt (Neurologie, Physiologie), was ja auch eine Bereicherung sein kann. Wenn dies aber zur Zementierung des materialistisch-reduktionistischen Weltbildes führt mit Dogmen wie„das Bewusstsein ist ein Produkt des Gehirns, etc.“ dann läuft etwas schief. Wissenschaft ist keine Religion; sie muss eine unvoreingenommene, skeptisch-investigative Position vertreten; ausserdem müssten die Geisteswissenschaften wieder eine Aufwertung erfahren (das ist die Meinung meiner Wenigkeit).

    Was die Big Five anbelangt, reizt es mich, diese „fünf grossartigen Faktoren“ zu zerpflücken – ein (zugegeben gewagter) Versuch:
    Introversion-Extraversion. Diese Dimension könnte man zurückführen auf den Grad der Ausprägung des dopaminergen neuralen Systems, wie es bei Helen Fisher beschrieben wird. Bei Keirsey entspräche es dem SP artisan-Typ (Aktionist, wie ihn du übersetzt hast).

    Offenheit für Erfahrungen. Diese Dimension ist mir zu vage. Ich würde hier unterscheiden zwischen einer Offenheit für geistige, abstrakte Erfahrungen (Nachdenken, Introspektion, Fantasieleben) – wofür Rationalisten und Idealisten bekannt sind, aber natürlich auch einfach Leute mit einer intellektuellen Begabung bzw. Veranlagung dazu –, und einer Offenheit für konkrete, sinnliche Erfahrung (im Sinne von Zuckerman’s Sensation Seekern), womit wir wieder bei einem ausgeprägten neurochemischen Dopaminsystem wären. Diese Unterscheidung von einer abstrakten und konkreten Orientierung macht übrigens auch Keirsey und ich halte sie für zutreffend.

    Gewissenhaftigkeit. Helen Fisher beschreibt in „Warum es funkt – und wenn ja, bei wem“ den Wegbereitertyp, den sie mit einer vermehrten Aktivität von männlichen Hormonen (i.e. Testosteron) in Verbindung bringt, als „selbstbeherrscht“, „durchsetzungsfähig“, „systematisch“ und „entschlossen“ (womit wir im Grossen und Ganzen Selbstkontrolle, Genauigkeit Zielstrebigkeit abgedeckt hätten; Hinweis: ich beziehe mich auf diesen Artikel): http://de.wikipedia.org/wiki/Big_Five_%28Psychologie%29)
    Gemäss Helen Fisher gibt es aber noch einen anderen Typen, der in dieser Dimension heraussticht:
    „Der Gründer muss einfach akkurat sein. (…) Er verfolgt seine Ziele auf präzise, beständige, logische, lineare Weise – Schritt für Schritt (S.93., Warum es funkt – und wenn ja, bei wem).

    Verträglichkeit. Diese Dimension widerspiegelt meiner Meinung nach die Polarität zwischen Gefühl und „hartem“ logischen Denken – einem Gehirnsystem, das mehr durch Östrogen oder Testosteron geprägt wurde. Kompetitives Verhalten korreliert gemäss Helen Fisher positiv mit der verstärkten Aktivität von Testosteron und Dopamin.

    Neurotizismus. Hier sehe ich wieder einen Zusammenhang zu einem neurochemischen System, das stark durch Östrogen und wenig durch Dopamin geprägt wurde, was zu einer „emotionalen Innenorientierung“ führt. Natürlich spielen dabei auch negative Umwelterfahrungen (z.B. dysfunktionale Familie etc.) eine gewichtige Rolle. Aus meiner Sicht ist die Neurotizismus-Skala bereits ein Messwert für Pathologie und nicht mehr wertfrei –eine Art quasi-psychodiagnostisches Tool im Hinblick auf klinisch relevante, abnorme Verhaltensmuster. Dass der Betroffene ein reicheres Innenleben hat und auf eine (Verzeihung) „tendenziell kranke Welt scheissen kann“ bzw. „in den eigenen vier Wänden seines Kopfes Party machen kann“ wird nicht berücksichtigt – es wird von einer Norm ausgegangen, die zum Massstab erkoren wird.

    Was ich damit sagen will: Ich kann diese fünf Faktoren auf die altbekannten vier Temperamentsgrundmuster zurückführen –„ im Westen nicht Neues“ oder „das Rad bleibt dasselbe“.
    Zudem bestreite ich den Einfluss der Umwelt auf die Persönlichkeitsentwicklung nicht. Man bedenke allerdings: „Neuere Zwillingsstudien kommen zu dem Ergebnis, dass sogar bis zu zwei Drittel der messbaren Persönlichkeitsmerkmale auf genetische Einflüsse zurückzuführen sind.“ (nature seems to trump nurture!) http://de.wikipedia.org/wiki/Big_Five_%28Psychologie%29

    Übrigens hat Helen Fisher in ihrer Studie auch Wörter analysiert, die von den vier verschiedenen Persönlichkeitstypen verwendet wurden (ähnlich dem lexikalischen Ansatz des Fünf-Faktoren-Modells).

    Lieber Gruss
    Simon

    PS: hast du schon von Simon-Baron Cohens These gehört, dass Autismus eine extreme Variante des „männlichen Gehirns“ sei bzw. seiner Unterscheidung zwischen systematischem und einfühlendem Denken? Halte ich für sehr interessant.

  6. Lars Lars sagt:

    Hallo Simon,

    Ich sehe das im Bereich der Persönlichkeitsmodelle so: manche sind eher Philosophisch (und nicht nachweisbar oder bereits widerlegt). Andere Wissenschaftlich (nachgewiesen). Beides hat seine Berechtigung, seinen Reiz und beides hat sehr unterschiedliche Anwendungen.

    Hardcore-Beweise gibt es nicht. Es gibt Beweise und keine Beweise. Ein persönlicher Bericht ist kein Beweis, sondern eine persönliche Erfahrung. Mir reichen persönliche Andekdoten und Beobachtungen nicht (früher war ich jedoch anderer Meinung). Die sind oft schlüssig und überzeugend. Das heißt aber noch lange nicht, dass sie auch stimmen. Beispiel: es gibt tausende Menschen, die von Ufos und grünen Männchen berichten. Ist das in sich schlüssig, da oft ähnlcihe BEschreibungen? Ja. Gibt es Beweise dafür? Nein. Die einzige Möglichkeit, zwischen real und fiktiv zu unterscheiden, ist nun mal der Beweis. Nächste Woche gibt es dazu auch einen interessanten Blogartikel rund um psychologische Fallen, in die wir gerne tappen.

    Warum ist das Bewusstsein denn nicht ein Produkt des Gehirns? Was soll es denn sonst sein? Alles was uns bewusst ist, kommt schließlich aus dem Gehirn.

    „Wissenschaft … muss eine unvoreingenommene, skeptisch-investigative Position vertreten“. Ganz meine Meinung. Tut sie in den meisten Bereichen auch. Ich weiß nicht wie es in anderen Bereichen der Psychologie ist, aber in der Persönlichkeitsforschung der letzten zwei Jahrzehnte habe ich nie den Eindruck gehabt, dass es nicht so wäre. Gerade die Big Five wurden vielfach kritisiert, wie es sich auch gehört. Ändert jedoch nichts daran, dass niemand ein besseres (nachweisbares) Modell erstellen konnte, von Detailverbesserungen wie dem Hexaco mal abgesehen.

    Klar kann man die Big Five mit den antiken Temperamenten in Verbindung bringen. Das ist ja schließlich auch der Sinn der Big Five: dass sie nahezu alle bekannten Persönlichkeitsmerkmale auf die eine oder andere Weise erfassen. Darauf bezieht sich auch das „Big“, auf die breite Definierung der Faktoren.

    Mit Autismus habe ich mich bisher noch gar nicht befasst, steht aber auf meiner Liste. Jedoch ist mir der in letzter Zeit sehr große Hype um das Thema etwas suspekt.

    Schöne Grüße
    Lars

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