Typische Länder-Klischees zur Persönlichkeit – alles Humbug oder Wahrheit?

Wer kennt sie nicht, die gängigen Klischees über andere Länder:

Italiener reden mit Händen und Füßen, sind emotional und sehr extrovertiert, genauso wie die temperamentvollen Spanier. Das Gegenteil davon sind die kühlen und zurückhaltenden Skandinavier und Japaner.

Wir Deutschen dagegen werden im Ausland als extrem genau, pedantisch, organisiert und zuverlässig (Stichwort „Deutsche Wertarbeit“ und „Made in Germany“), jedoch auch als sehr ernsthaft, emotions- und humorlos empfunden (z.B. Conan O’Brien Satire Stackenblochen oder Reisebericht „5 Things to love & hate about Germany“).

Doch was ist wirklich dran an diesen Klischees?

In einer internationalen Studie von 2005* wurde dieser Frage nachgegangen. Mittels eines Big Five Persönlichkeitstests wurden die Eigenschaften eines typischen Einwohners eines Landes ermittelt. Dazu wurden Studenten gebeten, diesen zu beschreiben, z.B. deutsche Studenten den typischen Deutschen.

Bei diesen Einschätzungen der typischen Einwohner eines Landes wurden die Klischees bestätigt,  z.B. Deutsche wenig überraschend als besonders Gewissenhaft beschrieben, Australier und Spanier als Extrovertiert und Japaner als Introvertiert.

Danach wurden diese Daten mit den Selbsteinschätzungen (also Introspektion) von Bewohnern dieser Länder anhand von Big Five Persönlichkeitstests sowie den Einschätzungen von Dritten (so genannte Observer Ratings) verglichen. Von den 49 untersuchten Ländern bzw. Kulturen hatte man dabei durchschnittlich jeweils 81 Teilnehmer pro Land.

Das überraschende Ergebnis:

Es gibt so gut wie gar keine Zusammenhänge zwischen der landestypischen Klischee-Persönlichkeit – z.B. dem typischen Deutschen – und den tatsächlichen Persönlichkeitseigenschaften der individuellen Bewohner des entsprechenden Landes.

Der durchschnittliche Deutsche ist in Wirklichkeit kaum gewissenhafter als die Menschen in anderen Ländern, der typische Japaner kaum introvertierter usw..

Zum Vergleich: bei Studien zu den typischen Mann-Frau Klischees hat man festgestellt, dass es durchaus reale Persönlichkeitsunterschiede zwischen den Geschlechtern gibt: Frauen zeigen im Schnitt mehr persönliche Wärme und Männer mehr Direktheit, Aggressivität und Selbstbehauptung. Dazu ausführlicher in einem kommenden Blogartikel.

Wenn die Länder-Klischees nicht stimmen, wie kommen dann diese Klischeebilder zu Stande?

Das ist durch die unterschiedliche Kultur in Ländern und Regionen zu erklären. Durch Traditionen, Erwartungshaltungen, lokale Vorstellungen, Normen und Eigenheiten entstehen die Klischeebilder die wir kennen, z.B. vom typischen Deutschen.

Diese Klischees wurden in der obigen Studie auch deutlich bestätigt. Sie lassen sich also auf eine Kultur oder ein Land anwenden, aber nicht auf einen individuellen Bewohner dieses Landes.

In einer internationalen Studie* von 2007 mit 17.408 Teilnehmer aus 56 Ländern kam man zu ähnlichen Ergebnissen: die Unterschiede in der durchschnittlichen Persönlichkeit von Menschen aus verschiedenen Ländern rund um die Welt waren nur gering.

So hatten Franzosen, Italiener und Spanier entgegen allen Klischees sogar im Durchschnitt höhere Werte bei Gewissenhaftigkeit (dem Faktor für Ordnung) als Deutsche. Allerdings waren diese Unterschiede nur minimal und kaum der Rede wert. Auch die Unterschiede bei z.B. Extroversion waren zwischen den europäischen Ländern sehr gering.

Die einzigen deutlichen Unterschiede im weltweiten Vergleich der Persönlichkeit zeigten sich bei den ostasiatischen Kulturen:

Bewohner von Japan, Südkorea und Hongkong zeigten sich im Vergleich – komplett entgegen den Klischees – als deutlich weniger(!) Gewissenhaft (=ordnungsliebend) als die Bewohner anderer Länder. Ebenfalls zeigten sie alle eine deutlich niedrigere Verträglichkeit, niedrigere Offenheit für neue Erfahrungen und höhere emotionale Instabilität (Neurotizismus).

Doch wie kann das sein? Sind unsere Klischeebilder von anderen Nationen also völlig falsch?

Nein. Denn eine plausible Erklärung für diese Ergebnisse liefern die Macher der Studie von 2007 gleich mit: aufgrund der lokalen Kultur eines Landes gelten in manchen Ländern bestimmte Persönlichkeitsmerkmale als eine Norm, ein Standard an dem man sich messen muss. In Japan sind das z.B. hoher Fleiß, Durchhaltevermögen, Disziplin und Pflichtbewusstsein. Alles Merkmale von Gewissenhaftigkeit.
Der durchschnittliche Japaner muss sich also an einem extrem hohen gesellschaftlichen und kulturellen Standard messen, den er in der Regel nicht erreicht. Daher schätzt er sich und andere bei Gewissenhaftigkeit geringer ein (und auch bei anderen Persönlichkeitsmerkmalen, was wiederum mit der kulturell verankerten asiatischen Bescheidenheit zu tun haben könnte).

Für diese Theorie spricht ebenfalls, dass mehrere afrikanische Länder die höchsten(!) Durchschnittswerte bei Gewissenhaftigkeit erreicht haben, höher als alle anderen Länder in der Welt. Das ist dadurch zu erklären, dass Pflichtbewusstsein und Erfolgsdenken in der Kultur dieser Länder keine so große Rolle spielen. Daher schätzt sich der Einzelne in diesen Ländern bei diesen Eigenschaften höher ein als der Durchschnitt.

Man sieht, es gibt viele Fallstricke und Unklarheiten, wenn man die Persönlichkeit weltweit vergleicht. Das sind nicht nur die Probleme aufgrund verschiedener Sprachen und damit einhergehender Übersetzungen und verschiedener Wortbedeutungen. Sondern vor allem auch die verschiedenen gesellschaftlichen Normen und Werte, die weltweit sehr unterschiedlich sind.

Nun Hand aufs Herz und Klartext gesprochen:

Stimmen die Klischees über Länder in der Realität, oder nicht?

  • Ja, es gibt die Klischees in Form der typischen Kultur eines Landes. Die Normen und Werte eines Landes beeinflussen die Sichtweise seiner Einwohner.
  • Auf den einzelnen Menschen anwenden kann man diese Klischees aber nicht. Die Bewohner unterschiedlicher Länder auf der Welt haben alle ihre eigene Persönlichkeit, die nur wenig mit dem Land zu tun hat, in dem sie leben.

Klischees machen also eine Aussage über die Kultur eines Landes, aber sagen kaum etwas über den einzelnen Menschen an sich aus.

Ähnliches Thema:

* Quellen:
– National character does not reflect mean personality trait levels in 49 cultures, Terracciano, A; et al, 2005
– The geographic distribution of big five personality traits – Patterns and profiles of human self-description across 56 nations, Schmitt, David; Allik, Jüri; McCrae Robert R, Benet-Martinez Veronica et al, 2007

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2 Responses to Typische Länder-Klischees zur Persönlichkeit – alles Humbug oder Wahrheit?

  1. Gilbert sagt:

    Das ist echt interessant, vielen Dank für die klare Darstellung! Eine Frage: In wie weit, denkst du, stellen solche Ergebnisse die Introspektion als Methode in Frage? Wenn diese Selbsteinschätzungen so verzerrt sind, wo ist dann der Referenzpunkt? Was sagen solche Einschätzungen dann überhaupt noch aus?

  2. Lars Lars sagt:

    Hi Gilbert,

    Gute Frage. Das Introspektion eine fehlerbehaftete Methode ist, da wir aus unserer eigenen Sicht Dinge eben anders sehen als andere bzw. anders als sie in Wirklichkeit sind, ist ja sowieso klar.
    Diesen Ergebnissen zu Folge wirkt aber nicht nur unser Inneres auf unsere Sicht der Dinge, sondern kurioserweise wirkt auch das Externe auf die Introspektion.

    Bei Schüchternheit ist das übrigens ein bekanntes Problem: Schüchterne sind besorgt darüber, was andere Menschen über sie denken und lassen sich daher stärker von ihrer Umgebung beeinflussen und sehen sich selbst oft negativer aufgrund der Reaktionen anderer.

    Wir werden also nicht nur in unserer Meinung von anderen, sondern auch in unserer Meinung von uns selbst stark von unserer Umgebung beeinflusst. Und damit auch von Klischees und ähnlichem…

    Wo liegt der Referenzpunkt bzw. die „Wahrheit“? Ich denke bei Einschätzungen zur Persönlichkeit gibt es keine absolute Wahrheit. Als Referenzpunkt kann nur der Durchschnitt aus verschiedenen Sichtweisen genutzt werden.

    Beispiel: sind alle Menschen um dich herum 2 Meter groß, fühlst du dich mit 1,90 klein. Sind alle Menschen um dich herum „normal“ groß, fühlst du dich mit 1,90 groß.
    Ähnlich geht es wahrscheinlich auch den Japanern, die sich bei den hohen Ansprüchen an Gewissenhaftigkeit in ihrem Land als Individuum „klein“ fühlen was diese Eigenschaft angeht.

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